"Amazon zwingt Händler verstärkt zu Kooperationen"

Modehändler unterschätzen den Einfluss von Amazon

Sie gehen in Ihrer Studie ja auch sehr detailliert darauf ein, in welchen Segmenten der Einfluss von Amazon besonders groß ist. Mode und Möbel, so scheint es, sind hier noch kleine Inseln der Glückseligkeit. Bei Möbeln liegt der Anteil der Amazon-unabhängigen Umsätze bei 37 Prozent, bei Mode gar bei 46 Prozent. Dürfen Händler in diesem Bereich hier aufatmen?
Stüber:  
Eher nicht. Obwohl Amazon sehr stark technikgetrieben unterwegs ist und eher als nüchtern und wenig emotionalisierend wahrgenommen wird und eher spät in den Online-Modehandel eingestiegen ist, macht das Unternehmen fast 12 Prozent seiner Umsätze mit Fashion und Accessoires. Das ist eine Entwicklung, die viele aktuell unterschätzen, weil sie stark an Inspiration und Emotionalisierung glauben.
Ist das denn falsch?
Stüber:
Wichtig ist zu schauen, welche Motivation Konsumenten haben, dort einzukaufen. Hierbei helfen Detailanalysen. Welche Warengruppen sind stark, werden spezielle Marken gekauft, die man sonst nirgends findet, zu welchen Anlässen wird gekauft, ist es die eigene Zielgruppe, die auch zu Amazon geht - oder eine andere? Nur so können Händler und Hersteller verstehen, wie sie Kunden noch besser abholen können. Das ist das, was Amazon im Kern macht: Alle Prozesse werden vom Kunden aus gedacht. In anderen Unternehmen sehen wir oft, dass man auf eine Technologie anspringt und sich erst danach überlegt, was damit eigentlich erreicht werden soll. Und zwar immer dann, wenn es nicht so funktioniert, wie gedacht. Dass Amazon nichts von Inspiration und Emotionalisierung versteht, ist übrigens falsch: Es gibt durchaus spezielle Untershops oder Einstiegsseiten, die zeigen, dass Amazon nicht nur die klassischen Kategorieseiten bauen kann.
Haben Sie denn Erkenntnisse, welche Warengruppen im Modesegment bei Amazon besonders gut laufen?
Stüber:
An dem Thema sind wir gerade dran und hoffen im Laufe des Jahres auf tiefgreifendere Einblicke.
Ein Chart in Ihrer Studie zeigt, dass Smart Consumer, also Personen, die sehr eng mit ihrem Smartphone verbunden sind, im Rahmen ihrer Customer Journey häufig Amazon aufsuchen - und das nicht, um Preise zu vergleichen, sondern um Produktbewertungen auf Amazon zu lesen. Kann der stationäre Handel das nicht irgendwie für sich nutzen?
Stüber:
Produktbewertungen geben Konsumenten in ihrer Kaufentscheidung eine riesengroße Sicherheit. Wenn sie stationär überhaupt einen Verkäufer finden, haben sie eine Einzelmeinung und können schlecht einschätzen, wie unabhängig diese ist. Und obwohl sich viele Konsumenten darüber bewusst sind, dass Produktbewertungen gefälscht werden, trauen sie dieser Masse doch mehr und haben verschiedene Mechanismen entwickelt, um unterbewusst abzugleichen, auf was sie setzen und auf was nicht. Deswegen zücken Kunden im stationären Geschäft häufig ihr Smartphone und rufen die Produktbewertungen bei Amazon auf. Wir alle kaufen immer stärker online ein, nutzen immer stärker Such- und Filterfunktionen, um uns die relevante Produktauswahl für unsere Bedürfnisse zusammenzustellen. Wenn wir im stationären Handel sind, stehen wir vor einem Regal und können die Regalmeter nicht durch Klicks auf das reduzieren, was für uns relevant ist. Das ist ein riesiger Ansatzpunkt für stationäre Händler: Sie müssen dem veränderten Info- und Kaufverhalten der Kunden gerecht werden und sich dabei der Mechanismen aus dem Online-Handel bedienen. Gerade Heavy Online-Shopper halten das Angebot, das sie stationär vorfinden, von der reinen Darbietung her für nicht passend. Es gibt ja schon Händler, die beispielsweise die Sternebewertung bei Amazon anzeigen. Foto Koch in Düsseldorf hat auch gute Erfahrungen damit gemacht, den Amazon-Preis transparent darzustellen. Dieser Preisanker ist ohnehin gesetzt. Dann kann man ihn auch offensiv kommunizieren und für die eigenen Zwecke nutzen.
Was wäre Ihr persönliches Fazit aus der Analyse?
Stüber:
Obwohl viel über Amazon gesprochen wird, ist der Handel noch immer zu wenig vorbereitet. Statt an einzelnen Stellen nach Lösungen zu suchen, sollten Händler das Thema wesentlich schneller und radikaler angehen, indem sie über ihren eigenen Schatten springen und beispielsweise mit dem Wettbewerber ins Gespräch gehen. Nur mit gemeinsamen Angeboten wird es gelingen, in dieser amazonisierten Welt Sichtbarkeit zu erzeugen.



Das könnte Sie auch interessieren