Eigenmarkenstrategie 08.10.2018, 08:14 Uhr

Warum Händler zu Herstellern werden

Eigenmarken werden für Online-Händler immer relevanter: als Alleinstellungsmerkmal, als margenträchtiger Umsatzbringer und als Mittel gegen Lieferantenabhängigkeit.
(Quelle: shutterstock/stoatphoto)
Als Schuhe24 kürzlich bekannt gab, zur Frühling/Sommer-Saison 2019 unter der neuen Marke "Franz Ferdinand" eine eigene Damenschuh-Kollektion mit 50 Modellen auf den Markt zu bringen, schien niemand mehr überrascht zu sein als der Marktplatz-Chef selbst. "Ich habe keine Ahnung, ob die Kollektion gut ist", gibt Schuhe24-Gründer Dominik Benner im Gespräch mit SchuhMarkt unumwunden zu. "Ich bin da Anfänger und mir fehlt der Modegeschmack. ­Unsere Händler wollten unbedingt eine Eigenmarke, die konsumig ist, online in Sachen Preis attraktiv und Spannen von 300 oder mehr erreicht. Das haben wir umgesetzt." Wenn die Marke gut anläuft, soll die Kollektion zum Herbst/Winter 2019 ausgeweitet werden. 
Dass ein Handelsprofi wie Dominik Benner von seinen Händlerpartnern auf die Idee mit der Eigenmarke gestoßen werden muss, verwundert durchaus - schließlich ist der Gedanke ja keineswegs neu. Handelsmarken sind seit Jahrzehnten ein festes Standbein des stationären Handels, sie stehen für rund 40 % der stationären Umsätze. Und auch online springen seit Jahren immer mehr große und kleine Player auf den Private-Label-Zug auf. Der Tierbedarf-Händler Zooplus zum Beispiel setzte 2017 allein mit seinen ­Eigenmarken wie Tigerino, Rocco oder Smilla 120 Mio. Euro um - immerhin 13 % des Gesamtumsatzes. Bis 2020 will das Unternehmen den Umsatzanteil der Eigenmarken auf 19 bis 20 % steigern.
Zalando entwirft bereits seit 2010 unter dem Eigenmarken-Dach zLabels ­eigene Modekollektionen; 18 Marken führt das Unternehmen aktuell. Und Amazon, das 2014 mit einem Satz Batterien seine ­Eigenmarke Amazon Basics einführte, gibt seit rund 20 Monaten verstärkt Gas in Sachen Private Labels: Über 80 Eigenmarken führt das Unternehmen in den USA, in Deutschland sind es mindestens 15. 

Mit Eigenmarken gegen die Abhängigkeit

Eigenmarken sind also schwer en vogue unter Online-Händlern - und das aus ­gutem Grund: Eigenmarken werden in großen Mengen direkt vom Hersteller ­bezogen, die Handelskette ist dadurch deutlich kürzer als bei gewöhnlichen Produkten - was die Marge für den Händler erhöht. Bei einer Eigenmarke besteht auch kein Abhängigkeitsverhältnis zum Lieferanten: Markenhersteller können ihren Händlern Preise und Lieferkonditionen vorgeben und ihnen gegebenenfalls ­bestimmte Vertriebswege, zum Beispiel Online-Marktplätze, ganz verbieten. Dazu kommt die Konkurrenz durch andere Händler, die vor allem beim Verkauf auf Marktplätzen ruinös sein kann; beim Kampf um die Buy Box auf Amazon zählt eben vor allem der günstigste Preis. Oft ­genug tritt zudem mittlerweile auch noch der Markenhersteller selbst als Konkurrent zu seinen Händlern auf, indem er beispielsweise selbst einen Online Shop ­betreibt oder bei Amazon als Vendor auftritt.
"Spätestens dann, wenn ein Handelsprodukt bei Amazon erfolgreich wird, zieht es auch andere Händler und oft auch den Hersteller selbst an", weiß auch Klaus Forsthofer von der Amazon-Beratungsagentur Marktplatz1. "Das heißt, nachhaltiges Investieren in das eigene Geschäft ist oft nur mehr via Eigenmarke möglich. Das eigene Logo auf einem Produkt schützt im ersten Schritt rechtlich die eigenen Produktlistings. Im zweiten Schritt folgt dann die Markenbildung."
Viele der entscheidenden Vorteile von Handelsmarken treffen also in besonderem Maß für das Umfeld Online-Marktplatz und hier noch einmal speziell auf Amazon zu. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich vor allem der Amazon Marketplace zum "Brutkasten" für eine ganze Schar von neuen Eigenmarken entwickelt hat. Sucht man auf Amazon.de beispielsweise nach "kabellose Kopfhörer", bekommt man über 10.000 Ergebnisse. Viele sind äußerlich und anhand der technischen Features kaum voneinander zu unterscheiden. Neue Namen wie Holyhigh, Zling, CYDZ, Havit, Mpow, Ifecco und Aukey dominieren die Liste. Produkte der etablierten Marken wie Bose oder JBL finden sich weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Die meisten der Such-Gewinner sind Private Labels, die vielleicht kein so ausgereiftes Produkt wie JBL anbieten, aber dank geschicktem Einsatz von Amazon-SEO und Produktbewertungen vom Amazon-Algorithmus bevorzugt werden. "Marken waren das Vertrauensbarometer der Vergangenheit, heute treten an ihre Stelle Algorithmen und Produktbewertungen", sagt deshalb Klaus Forsthofer.
Davon können gerade kleinere Händler sehr profitieren. Zu diesem Schluss kam auch Julia Ritter, Geschäftsführerin des Design-Handels Desiary.com. Sie hat in diesem Jahr das Private Label „Adorist“ gegründet, unter dem sie auf Amazon und im eigenen Shop selbst entwickelte ­Decken, Marmortabletts, Vasen, Schmuckständer und Kissen vertreibt. Das Geschäft ist gut angelaufen, nächstes Jahr will sie das Sortiment von Adorist verdoppeln. "Früher dachte ich immer, meine ­eigenen Produktideen entwickle ich dann, wenn mir langweilig wird“, erinnert sich Ritter. „Aber inzwischen ist mir klar geworden: Eigenmarken sind eine echte Überlebensstrategie für kleinere Händler."

Marktplätze begünstigen die Entwicklung von Eigenmarken

Das bestätigt auch eine aktuelle Untersuchung des US-Portals Marketplace Pulse, die zu dem Schluss kam: Immer mehr Händler auf dem Amazon Marketplace verkaufen immer weniger Produkte von immer weniger Marken. 2016 machten noch 46 % der 10.000 erfolgreichsten Drittanbieter auf Amazon über die Hälfte ihres Umsatzes mit nur einer Marke; 2018 sind es bereits 58 %. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Listings ab: 2016 verkauften 34 % der Händler weniger als 100 Produkte gleichzeitig auf dem Marktplatz; zwei Jahre später sind es schon 42 %, die sich auf ein kleineres Sortiment konzentrieren. 
Für Tim Nedden, Gründer und Geschäftsführer der Agenturgruppe Finc3, ist das die logische Folge der wachsenden Zahl an Marken, die mit Amazon im Rahmen des Vendoren-Programms direkt zusammenarbeiten. "Für die Seller bleibt die Flucht nach vorne: lukrative Nischen entdecken und Eigenmarken entwickeln, die ihnen Exklusivität bieten. So können sie sich dem direkten Preiswettbewerb mit anderen Sellern auf demselben Produkt entziehen", so Nedden. "Logisch, das funktioniert besser, wenn man sich auf wenige Produkte fokussiert, bei diesen aber exzellent ist. Und genau das belegen die Zahlen der Studie: Immer mehr Seller sehen ihre Zukunft in der Eigenmarkenentwicklung." 
Ein weiterer wichtiger Faktor: Die Entwicklung von Eigenmarken, das Sourcing von Lieferanten (meist in Asien) und der Markenaufbau ist in den letzten Jahren deutlich leichter geworden. "Ähnlich wie bei der Internationalisierung war es nie einfacher, mit wenig Kapital die ersten Gehversuche zu beginnen", betont E-Commerce-Berater Peter Höschl. "Wenn man bedenkt, dass Kunden immer weniger auf den Statusgewinn durch große Marken achten, dafür aber eher nach Produkten suchen, die Probleme lösen oder Wünsche erfüllen, muss sich jeder Händler zumindest mit dem Thema aus­einandersetzen."



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