Dr. Matthias Marquardt im Gespräch 23.10.2017, 12:25 Uhr

Es könnte besser laufen

Tragen die Läufer hierzulande das richtige Schuhwerk? Nur zum Teil, meint Dr. Matthias Marquardt. Wozu die Koriphäe der Branche rät.
Dr. Matthias Marquardt
(Quelle: Inger Diederich)
Arzt, Coach, Sportler: Wer sich mit dem Thema Running etwas intensiver beschäftigt, kennt Dr. Matthias Marquardt, mit seinen 40 Jahren wohl Deutschlands jüngster Laufpapst. Auf Marquardt-running.com gibt er Einblicke in den Arbeitsalltag und bewirbt dort auch seine Dienstleistungen.
SAZsport: Ob Dr. Ulrich Strunz, Achim Achilles, Herbert Steffny oder Dr. Matthias Marquardt – Deutschland ist das Land der sogenannten Laufpäpste. Gibt es denn jemanden in der Szene, zu dem Sie aufschauen?
Dr. Matthias Marquardt: (lacht) Ich überlege kurz, wo ich mich in dieser illustren Reihe überhaupt wiederfinde. Sicherlich haben alle ihre eigene Expertise und ihre Sache immer sehr gut gemacht. Jeder hat da seinen eigenen Weg – ich auch. Was Lauftechnik und Training angeht, habe ich als Jugendlicher gerne zu Thomas Wessinghage aufgeschaut, den ich in der o.g. Liste durchaus vor Achim Achilles genannt hätte (lacht). Allerdings habe ich mich dann mit meiner Arbeit – gerade auch im Medizinischen – in eine andere Richtung entwickelt.
SAZsport: Für wie unfehlbar würden Sie sich selbst halten, was die Running-Expertise betrifft?
Dr. Marquardt: Unfehlbar ist ganz bestimmt niemand. Was die Expertise betrifft: Ich habe mich in den letzten 20 Jahren intensiv mit Sehnentherapie, Lauftechnik, Schuhversorgung sowie Einlagen befasst und dabei immer einen sehr intensiven Austausch mit den unterschiedlichsten Berufsgruppen gepflegt. So habe ich über mehr als zehn Jahre Orthopädietechniker, Physiotherapeuten und Sportfachhändler ausgebildet. Das hat meinen Laufsporthorizont unwahrscheinlich erweitert, und es hilft mir jeden Tag dabei, umsetzbare medizinische Konzepte für meine Patienten zu entwickeln. Unfehlbar bin ich also nicht, ich glaube aber, dass ich Sportler als Sportinternist und Sehnenexperte mit diesem Hintergrund wirklich gut verstehen kann.
SAZsport: Wie viele Sportler in Deutschland laufen mit falschem Schuhwerk?
Dr. Marquardt: Ich meine, dass sich die Situation in den letzten Jahren wesentlich verbessert hat. Daran war sicherlich auch die Grundsatzdiskussion zum Thema Pronationsstütze beteiligt. Nachdem in den 1990er-Jahren 80 oder 90 % der Läufer mit Pronationsstütze unterwegs waren, haben wissenschaftliche Erkenntnisse, die ich damals gerne in die Breite getragen habe, ein Umdenken erzwungen. Das war kein leichter Weg, denn er verlangte die Änderung langjähriger Gewohnheiten. Aber das Wissen ist jetzt fest im Sportfachhandel verankert. So sind falsch versorgte Läufer mit Pronationsstützen, die diese eigentlich gar nicht brauchen, erfreulicherweise zur Seltenheit geworden. Der Fachhandel macht das inzwischen sehr gut und höchstens 10 % der Läufer, die ich in meiner Praxis sehe, sind nicht so gut versorgt. Problematisch – und da sehe ich noch viel Potenzial für den Fachhandel – ist sicherlich der Bereich der absoluten Hobbyläufer, die sich eben nicht im Fachgeschäft beraten lassen und ihre Schuhe vielleicht sogar online kaufen. Dort sehe ich in der Tat eine hohe Quote von suboptimalen Schuhversorgungen. Auch bei den sogenannten Urban ­Runners, den „Lifestyle-Läufern“, steht das Technische nicht so im Vordergrund. Diese Läufer besser zu erreichen, ist für mich die künftige Herausforderung für die Branche.
SAZsport: Wie hoch schätzen Sie die Beratungsqualität des Sporthandels in Deutschland bei Laufschuhen ein?
Dr. Marquardt: Die hat sich ganz grundlegend verbessert, aber diese ist in der Fläche natürlich unterschiedlich. Es gibt Sportgeschäfte, die zu Stoßzeiten am Samstag nicht ganz die differenzierte Beratung von Experten erreichen oder die aufgrund von Personalfluktuation die Qualität schwierig sichern können. Hier hilft nur kontinuierliches Recruiting in Kombination mit kontinuierlicher Schulung – nicht einfach in Situationen hohen Kostendrucks. Kleinere Laufspezialisten haben es hier leichter, schließlich steht der Chef oft mit im Laden.
SAZsport: Sie haben mehrere Bücher zu den Themen Lauftraining und Sportmedizin geschrieben, eines davon auch vor sechs Jahren zu Natural Running. Warum ist dieser Trend abgeebbt?
Dr. Marquardt: Für mich war das Thema „Natural Running“ immer so eine Herzensangelegenheit. Läufer dazu zu animieren, eine Runde barfuß auf dem Rasen zu laufen, um so die Lauftechnik zu verbessern und die Füße zu kräftigen, macht unbedingt Sinn. Und Spaß macht es auch. Schwierig wird es aber, wenn die Dosis falsch gewählt wird. Und da ist ja das eigentliche Problem: Es ist nicht einfach, ein solches Thema in unserer Medienlandschaft so zu platzieren, dass es nicht schiefgeht. Zunächst wird das Thema hochgeschrieben: „Barfußlaufen, natürliche Schuhe, alles super.“ Aber der Nachsatz „Pass mal auf, du musst das Training vorsichtig aufbauen“, der geht in Zeiten, in denen oft nur noch die Überschriften gelesen werden, gerne unter. Und dann häufen sich auf einmal Fälle wie der eines 95-kg-Mannes, der ohne Vorbereitung in Fivefingers 10 km laufen geht und sich danach wundert, dass beide Achillessehnen schmerzen. Darunter hat das Thema gelitten und ist deshalb – für mich nachvollziehbar – abgelöst worden. In meiner täglichen Arbeit in der Praxis ist das Thema allerdings nach wie vor präsent. Wenn jemand mit Knieproblemen kommt, die lauftechnisch bedingt sind, brauche ich möglicherweise flachere Schuhe, dann brauche ich auch eine Lauftechnik-Intervention. Es gibt aber natürlich auch Situationen, wo ich genau das nicht brauche. Das wäre bei einer akuten Achillessehnen-Entzündung der Fall. Es existiert eben nicht der eine Schuh, der für alle funktioniert – das gilt auch für das Thema Natural Running und die entsprechenden Schuhe.


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