Kommentar 26.04.2023, 09:00 Uhr

Ladensterben: Ohne echte Innovation wird die Innenstadt zur Betonwüste

Eine Prognose des Handelsverbands Deutschland sieht tausende Läden in diesem Jahr sterben. Die Frage, die sich Innenstadtplanung und Einzelhandel stellen: Wie können wir diese Entwicklung aufhalten? Antwort: nur mit echter Innovation.
(Quelle: Quelle: Imran Khan's Photography / Shutterstock.com)
Ein Beitrag von Jochen G. Fuchs
Der HDE prognostiziert, dass Inflations- und Konjunktur-bedingt mehr als 9.000 Läden in diesem Jahr schließen werden. Das sind zwar weniger als die durchschnittlich 11.000 in den Corona-Jahren, aber immer noch doppelt so viel, wie in den Jahren vor Corona. Da starben "nur" etwa 5.000 Läden. Die Innenstädte sind ein komplexes System mit vielen Variablen, der Handel ist nur eine davon. Die Innenstädte wiederzubeleben, wird nur gelingen, wenn Städteplanung, Politik und Vermieter gemeinsam Konzepte entwickeln, um die Aufenthaltsqualität in den Fußgängerzonen zu erhöhen. Die Hoffnung vieler Städteplaner liegt dabei auf sogenannten Mischkonzepten, die Wohnraum und Büro- oder Betriebsflächen mit dem Handel kombinieren.

Der Handel muss seine neue Rolle in der Innenstadt akzeptieren

Die Rolle des Handels in diesen Konzepten wird kleiner sein als vorher. Ein Zurück zu den Zeiten, in denen ausschließlich der Einzelhandel die Innenstädte belebt hat und der Magnet für Besucherströme war, ist nicht mehr möglich. Mit aller Gewalt das Ladensterben verhindern zu wollen, ist kein Konzept, sondern Palliativmedizin. Gut zu beobachten bei Galeria, da wurde beispielsweise an vielen Standorten erst in der x-ten Schließungswelle die zweite Filiale am selben Ort geschlossen. 
Es mag bitter klingen, aber je eher die Tatsache akzeptiert wird, dass die Bedeutung des Handels in den Innenstädten sinkt, desto schneller kann die Branche sich darauf konzentrieren, endlich mutige Konzepte für die Zukunft zu entwickeln.

Ohne echte Innovation gibt es keine Konzepte für den Handel der Zukunft

Die bekannte digitale Welt in den Handel zu bringen oder darüber zu philosophieren, dass der lokale Einzelhandel digitaler werden muss, ist müßig. Das ist Grundwissen und es sollte jedem klar sein: Mit Innovation hat das nichts mehr zu tun. Die Kund*innen von heute erwarten offline dieselben Möglichkeiten wie online. Wenn diese Erwartung erfüllt ist, jubelt aber niemand, dann ist erst einmal nur Unzufriedenheit vermieden worden.
 
Die richtig großen Innovationen bleiben aus, und die kleineren Vorstöße einzelner Händler kommen oft nie über den Pilotstatus hinaus. Die letzte richtig große Innovation im Einzelhandel war die Erfindung der Just-Walk-Out-Technologie von Amazon, die bei Amazon Go, Fresh, Whole Foods sowie mittlerweile auch bei Dritthändlern zu finden ist. Die Innovation besteht hier nicht in der Technik, mit der die Läden von Amazon und Wholefoods vollgestopft sind. Die ist nur Mittel zum Zweck. Die Innovation ist die Abschaffung der Kassenschlange.
Der Vater des modernen Kaufhauses, Aristide Boucicaut, dessen Kaufhaus Le Bon Marche in Paris bis zum heutigen Tag ein Einkaufserlebnis bietet, hatte unter anderem zwei große Grundsätze: Vor dem Kaufhaus und im Eingangsbereich müssen Attraktionen platziert werden, die Kunden in den Laden ziehen. In seinem Zeitalter waren das günstige Stoffe und andere kleinpreisige Artikel. Der zweite Grundsatz: Kunden wollen unterhalten werden, weshalb Boucicaut sein Kaufhaus zu einem Unterhaltungstempel machte, mit Shows, Bibliotheken und anderen Annehmlichkeiten.
 
In den meisten Kaufhäusern sieht der Eingangsbereich bis heute gleich aus: Schmuck und Parfüm. Wie oft kauft der Durchschnittskunde täglich Schmuck und Parfüm und wird durch diese Platzierung in einen Laden gezogen? Und von Unterhaltung in Kaufhäusern kann meist keine Rede sein.
 
Kurzum, der Handel muss einerseits lernen, dass seine Rolle in der Innenstadt der Zukunft sich verändert, und andererseits den Mut aufbringen, gewohnte Konzepte so auf den Kopf zu stellen und zu hinterfragen, dass wirkliche Innovation entstehen kann.



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