Gastbeitrag von Fritz Schrempf 11.02.2019, 13:47 Uhr

Könnte Atomic noch österreichisch sein?

Fritz Schrempf, der ehemalige langjährige Geschäftsführer von Atomic, kommentiert in einem Gastbeitrag den Verkauf seiner Marke an Amer Sports – die nun künftig wohl in chinesische Hände übergeben wird.
Skipapst Fritz Schrempf nimmt in einem Gastbeitrag Stellung zum Atomic-Verkauf. Der 73-Jährige ist über 27 Jahre in der Ski-Industrie tätig gewesen, davon 24 Jahre für die Firma Atomic, wo er als Assistent des kaufmännischen Leiters Dr. Eugen Köck begann, und in Folge als Verkaufsleiter Österreich und parallel die Märkte Frankreich (Tochterfirma), Norwegen, Schweden, Finnland, USA (Tochterfirma), Canada (Tochterfirma) als Verbindungsmann zu den Geschäftsführern der Tochterfirmen bzw. zu den Generalvertretern betreute. 1983 wurde er kaufmännischer Leiter bei Atomic. Schrempf war federführend beteiligt neben Alois Rohrmoser beim Kauf von Skis Dynamic in St. Etienne de St. Geoirs, Frankreich (1977/78), Ess Skibindungen (1988, Immenstadt, Vorbesitzer war Knut Jäger - Big Pack) und Koflach (1989, Ski- und Bergschuhe). Bindungen und Schuhe wurden damals parallel unter den Marken "ess" und "Atomic" bzw. "Koflach" und "Atomic" angeboten, ehe man sich auf die Marke "Atomic" für alle Produkte entschied. 1993 wurde Schrempf Geschäftsführer neben Rohrmoser bei der Umwandlung der Einzelfirma in eine GmbH. Nach zweieinhalb Jahren als EU-Regionalmanager war er anschließend noch drei Jahre bei Head/Tyrolia tätig.
(Quelle: Fritz Schrempf)
Natürlich handelt es sich dabei um eine rein hypothetische Frage. Aber sie ist berechtigt. Schon allein deswegen, da mit Fischer nur eine einzige, der einst mächtigen österreichischen Skimarken, auch das Prädikat „österreichisch“ verdient: Atomic ist (noch) im Besitz des finnischen Amer-Konzerns. Gehen jedoch die Verhandlungen mit einer chinesischen Investorengruppe unter der Führung der Sportartikelfirma Anta spätestens im zweiten Quartal 2019 erwartungsgemäß über die Bühne, so ist die Firma nicht mehr europäisch, sondern asiatisch. China ist weltweit auf Einkaufstour. Blizzard ist italienisch (Tecnica, Nordica). Head ist schwedisch (Johan Eliasch). Kästle ist seit 2018 mehrheitlich in tschechischem Besitz - ConsilSport (Nemec). Kneissl ist seit 2011 im Besitz des saudischen Scheichs Mohamed Al Jaber.
Zurück zur Eingangsfrage. Der sinnlose Konkurs mit einer Quote von rund 94 Prozent (!) wurde über Atomic/Alois Rohrmoser/Bawag vor nunmehr fast 25 Jahren eröffnet. (Anmerkung: Wenn hier von „Bawag“ geschrieben wird, so handelt es sich um die Bawag „alt“, welche mit der heutigen Bank, zu 54 % im Besitz von Cerberus Capital Management LP und zu 40 % im Besitz von Golden Tree Asset Management LP, befindlichen Bawag nichts mehr zu tun hat). Der endgültigen Übernahme der Firma durch Amer gingen nach den nicht beilegbaren Querelen Bawag/Helmut Elsner (Generaldirektor) und Alois Rohrmoser unzählige Gespräche beziehungsweise Interessenskundgebungen mit und von potenziellen Investoren voraus: Scott, Marker, Austria Tabak, Rossignol, Salomon, Benetton. In einigen Fällen waren die Gespräche allerdings wahrscheinlich nur taktischer Natur und nicht ernst gemeint. Am weitesten fortgeschritten waren nach einer wochenlangen „Due Diligence-Prüfung“ die Verhandlungen mit Scott. Seitens Scott gab es gerüchteweise sogar Klagedrohungen gegen die Bawag, da die Ergebnisse zu einem großen Teil bei den Verhandlungen mit Amer übernommen wurden. Zumindest wollte Scott einen entsprechenden Ersatz beziehungsweise eine Vergütung.
Amer kam schließlich im November 1994 zum Zug. Und hier beginnt das „Abenteuer“ mit den Zahlen, dargestellt im Buch „Pleiten, Betrug und Bawag“ des österreichischen Nationalratsabgeordneten Dr. Martin Graf, 2008. Graf schreibt offen von „Verschleuderung“ und belegt dies mit folgenden Zahlen: Amer erwarb Atomic zu einem Preis von 918,7 Mio. Schilling (66,8 Mio. Euro). Im Januar 1995 kaufte die Bawag 10 % an Atomic-Anteilen und zahlte dafür 350 Mio. Schilling (25,4 Mio. Euro). Atomic war somit nach nur etwas mehr als einem Monat 3,5 Mrd. Schilling und nicht mehr nur 918,7 Mio. Schilling wert. Graf qualifiziert in seinem Buch die Einleitung des Atomic-Konkurses als rechtswidrig, da unter Fortführungsbedingungen keine Überschuldung bestand.
Ganz unschuldig war auch Atomic/Rohrmoser nicht. Am 7. September, also vor dem Konkursantrag, traf Rohrmoser die einsame Entscheidung, die Mehrheit der Anteile an ein Treuhänder-Konsortium rund um den Welser Rechtsanwalt Ernst Chalupsky und den Sanierer Stefan Pierer zu übertragen. Die Bawag sah keinen anderen Weg, dieses Konsortium wieder loszuwerden, als alle Kreditlinien fällig zu stellen, was schließlich zum Konkursantrag führte. Die „Hauptschuld“ lag aber wohl darin, dass Rohrmoser, abgesehen von zu vernachlässigenden Bankverbindungen, nur der Bawag als Hausbank vertraute. Der Grund dafür erklärt sich durch Dankbarkeits- und Treuegefühle des gestandenen und ehrlichen Unternehmensgründers Rohrmoser zu diesem Institut:  Bei der Firmengründung 1955 hätte er einen Kredit von 1 Mio. Schilling benötigt. Die örtliche Bank war dazu nicht bereit. Die Bawag aber eröffnete im 10 Kilometer entfernten St. Johann im Pongau gerade eine Filiale und war froh über Kunden. Fortan gab Rohrmoser an die kaufmännische Leitung und den Finanzchef die Devise aus, dass selbst bei geringfügig besseren Konditionen von Konkurrenzanbietern immer der Bawag der Vorzug zu geben wäre.
Von politischer Seite her fehlte letztendlich jede Unterstützung, obwohl der damalige Bundeskanzler Vranitzky, mit dem Rohrmoser mehrmals zusammen Wanderungen unternommen hatte, versprach, „dass man ihn nicht fallen lassen würde“. Rohrmoser hätte wohl den Kampf gegen die widrigsten Umstände aufgenommen. Möglicherweise hätte das ganze Verfahren neu aufgerollt werden müssen. Es war ihm nicht mehr gegönnt. Er starb, nicht einmal 73jährig, am 5. Februar 2005, während der Fernsehübertragung eines Damen-Weltmeisterschafts-Abfahrtlaufes. Sein Aufstieg hatte 1968 bei den Olympischen Spielen mit dem Gewinn der Goldmedaille im Damen-Abfahrtslauf begonnen.
Jede Leserin, jeder Leser möge sich über diese Entwicklung die eigenen Gedanken machen! Und beurteilen, ob Atomic noch österreichisch sein könnte.




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