Commerce Week 11.03.2021, 08:45 Uhr

"Es gibt Kundengruppen, die kriegt man nur auf Amazon"

Amazon ist für Markenhersteller immer noch ein Reizthema. Wie sieht der aktuelle Stand in der Hassliebe aus? Wie können Markenartikler den Marktplatz bestmöglich nutzen? Und: Ist ein Marken-Leben ohne Amazon überhaupt denkbar? Antworten gab es auf der Commerce Week.
(Quelle: shutterstock.com/Ink Drop)
Mit Amazon ist es oft so wie in manch unguten Beziehungen: Es geht nicht mit, es geht nicht ohne einander. Die Zusammenarbeit mit dem E-Commerce-Riesen ist vor allem für kleine Markenartikler weiterhin geprägt von fehlendem persönlichen Kontakt, wenig Ausgestalltungsmöglichkeiten bei den Partnerverträgen und hohen Anforderungen, vor allem an die Logistik. Gleichzeitig kommen Marken kaum um Amazon herum - denn Marken, die auf Amazon nicht verkaufen, existieren für weite Teile der Konsumentenschaft schlichtweg nicht. Anderseits bemüht sich Amazon seit Jahren angestrengt um Markenartikler, zuletzt mit Markenschutzprogrammen wie Transparency.
Wie sieht der aktuelle Stand in der Hassliebe zwischen Amazon und den Herstellern aus? Wie können Markenartikler den Marktplatz bestmöglich für ihre Zwecke nutzen? Ist nachhaltiger Markenaufbau auf Amazon überhaupt möglich? Und: Ist ein Marken-Leben komplett ohne Amazon überhaupt denkbar? Diese Fragen diskutierte "Internet World"-Redakteurin Ingrid Lommer mit Stephan Thönnißen, COO Berlin Brands Group, und Felix Haberlach, Head of Online Business Development bei der Uvex Safety Group, auf der Commerce Week.

Spielwiese und Marktforschungsplattform

Uvex ist ein international tätiges deutsches Unternehmen mit den Gesellschaften Uvex Safety Group, Uvex Sports Group und Filtral Group. Die Firma produziert und vertreibt Schutz- und Sicherheitsprodukte im Berufs-, Sport- und Freizeitbereich. Der Hersteller nutzt Amazon als Seller und Vendor - und schätzt als Seller, dass man "die Zügel in der Hand behält".
Angewiesen sei man auf Amazon nicht. Natürlich nutze man die Plattform als Absatzkanal, aber vielmehr auch als Spielweise, um sich auszuprobieren. Soll heißen: Amazon ist für Uvex auch die ideale Markforschungsplattform - das Feedback, das man bekommt, wird auch für die Produktentwicklung genutzt.
Entscheidend bei Uvex ist auch die Zielgruppe: Dort bekäme man im Vergleich zum B2B-(Online)-Shop den Kontakt zur B2C-Zielgruppe oder auch zu Einzelunternehmern. Amazon hilft Uvex hier, neue Wege und neue Zielgruppen zu denken, so Felix Haberlach.
Berührungsängste hatte man beim Einstieg nicht. "Wir haben Amazon nicht gebraucht und uns daher Zeit gelassen. Zudem hatten wir Hilfe von Experten und gut Zeit, uns ein Business-Modell zu errechnen", erklärt Haberlach. Und: "Wir glauben nicht, das unsere klassische Kunden über Amazon einkaufen werden. Sie werden dort aber beeinflusst und inspiriert. Soll heißen, unsere Einkäufer sprechen inzwischen Produkte an, die wir beim klassischen Vertrieb nicht anbieten oder zumindest nicht in diesem Umfang. Schlussendlich ist jeder Einkäufer eben doch auch Kunde."

Same same but different

Same same but different, heißt es beim zweiten Panelteilnehmer, der Berlin Brands Group - einem international agierendem E-Commerce-Unternehmen im Bereich Direct-to-Consumer (DtC), das insgesamt 14 Eigenmarken unter sich vereint.
Auch hier setzt man fast ausschließlich auf das Seller-Modell, um beispielsweise die Listings selbst gestalten zu können. Kontrolle behalten, das ist Thönnißen wichtig. Das Unternehmen kauft Marken zu und versammelt demzufolge diverse Zielgruppen unter sich. Hier könnte man nicht überall steuern, wo diese einkaufen. "Es gibt Kundengruppen, die kriegst du nur auf Amazon", so Stephan Thönnißen. Über die eigenen DtC-Kanäle könne man dagegen Produkte anders darstellen. "Man muss unterscheiden: Ist es dein Kunde, der das Produkt kauft, oder ist es der Amazon-Kunde, der auch die Amazon Experience kauft", fasst der Experte zusammen.

"Keep your friends close, keep your enemies closer"

Aber wie arbeitet man denn nun am besten mit dem Riesen zusammen, bei dem so viel automatisiert läuft? Thönnißen sagt: "Hier trifft old economy auf new economy. Man muss sich mit der Marke Amazon beschäftigen, wenn man den Kanal aktiv bespielt. Er kann sehr positiv, aber auch sehr negativ für eine Marke sein. Zudem sollten Unternehmen auch die Amazon-Tools aktiv nutzen, da sonst Fälschungen schnell zum Problem werden können. Der Punkt ist: Es herrscht oft großes Unwissen und dadurch gibt es Befremdlichkeiten bei Marken und Herstellern."
Die Berlin Brands Group macht sich in der Zusammenarbeit das alte Mantra "Keep your friends close, keep your enemies closer", zunutze. Man halte sich an die Richtlinien und Anforderungen. Gleichzeitig gestalte man aber viele Dinge aktiv selbst. Das fängt bei der Auswahl an, ob man Seller oder Vendor sein möchte. Hier setze man die Weichen für die Zusammenarbeit. "Man ist in vielen Teilen stark ausgeliefert, das eigene Interesse und das Kundeninteresse wertet Amazon in vielerlei Hinsicht höher als das Herstellerinteresse. Allerdings muss man sagen, dass sich hier viel tut. Amazon öffnet sich für Hersteller. Das sehen wir schon."

Ist Amazon fürs Markengeschäft unverzichtbar?

Und die alles entscheidende Frage: Ist Amazon fürs Markengeschäft unverzichtbar? Die Antwort beider Panelteilnehmer: Es geht auch ohne. Jedoch mahnt Thönnißen, sehr auf die Zahlen zu achten. Wenn man andere Standbeine habe, könne man Amazon - oft sehr medienwirksam - umgehen. Entscheidend ist: Wie ist die eigene Infrastruktur? Der Umsatzverlust, den man bei einer Abkehr von Amazon erleide, muss kompensiert werden können. "Trotzdem ist Amazon nach wie vor der größte Teich, in dem man fischen kann, wenn es um Kunden geht", so das Fazit von dem Berlin Brands Group-Mann.
Kollege Haberlach ergänzt: "Gerade für Nischenprodukte ist Amazon nicht immer das richtige Modell. Hier findet man nicht immer die gewünschte Zielgruppe und kann sich viel Kosten und Mühen sparen, indem man gleich auf andere Kanäle setzt."



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