Nachhaltigkeit im Sportartikelmarkt 03.06.2021, 20:10 Uhr

Wo sind die neuen Geschäftsmodelle?

Die Sportartikelbranche ist zweifelsohne ein Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit: so gibt es bereits recyclebare Sneaker, vegane Sneaker und Sneaker hergestellt aus Plastikmüll. Der Sportmarkt dient anderen Branchen als Vorbild.
(Quelle: Shutterstock/everst)
Einerseits ist der Sportmarkt ein Vorbild, andererseits hat man sich stark dem Fast Fashion genähert: So ist der weltweite Sneakermarkt geradezu explodiert und hat sich von 2010 bis heute verdreifacht – eine unvorstellbare Zahl, wenn man bedenkt, dass der Markt schon 2010 sehr bedeutend war. Sneaker sind ein Modeaccessoire, in den wenigsten Fällen sind die Wurzeln zu Sport noch erkennbar. Der Markt wird von der Industrie mit allen möglichen Mitteln (heute natürlich auch digitaler Art) angeheizt. Man könnte fast von Fast Fashion Footwear sprechen.
Kriegt man diese beiden Entwicklungen auch zukünftig unter einen Hut? Wie geht man aktiv mit dem obigen Dilemma um? Welche Rolle kann hier der Handel spielen? Noch nie hat wohl ein einziges Thema die letzten Sportartikelmessen so entscheidend geprägt: Nachhaltigkeit und ökologische Themen waren allgegenwärtig.
Stefan Brunner war 25 Jahre als Marktforscher für die GfK tätig und der Datenexperte für den Sportartikelmarkt.
Quelle: SportLifeInsights
Und jedem in der Branche ist klar, dass das Thema Nachhaltigkeit weiter an Fahrt aufnehmen wird. Der Begriff Nachhaltigkeit hat viele Facetten und ist damit unterschiedlich besetzt: ob es faire Arbeitsbedingungen (v.a. in der Produktion) sind, die Verwendung umweltfreundlicher Materialien (und Schlagwörter wie Recycling, Kreislaufwirtschaft) oder der ökologische Fußabdruck der Firmen – jeder versteht Nachhaltigkeit mit anderer Gewichtung. Durch Reparaturservices, Verleihangebote und durch ein höheres Bewusstsein beim Verbraucher (Produkte länger tragen, weniger besitzen) wird letztlich auch weniger Konsum die Konsequenz sein. So wird auch der aktuelle Massenkonsum von Sneaker auf Dauer nicht mehr haltbar sein. Der Konsument sucht mehr Qualität und das Besondere, die Werte der Marke seiner Wahl spielen zukünftig eine größere Rolle.
Noch zeigen Studien, dass beim Verbraucher aktuell kaum eine höhere Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte – insbesondere im Ausrüstungsbereich Sport – festzustellen ist. Allerdings werden Marken, die das Thema von Grund auf authentisch leben, zukünftig über einen höheren Markenwert und eine höhere Begehrlichkeit einen Wettbewerbsvorsprung haben. Das Thema wird auch im Handel immer präsenter. So haben Online Händler vielfach alle angebotenen Produkte diesbezüglich separat markiert und beschrieben, so dass die diversen Nachhaltigkeitssiegel für den Endverbraucher verständlich werden.
Welche Möglichkeiten hat der stationäre Händler, um das Thema Nachhaltigkeit dem interessierten Konsumenten noch mehr nahezubringen? Im folgenden seien zwei Ansatzpunkte skizziert:
1. Nachhaltigkeit am POS
Eine der Aufgaben des Händlers ist es, Produkthighlights zum Thema Nachhaltigkeit neutral und kompetent zu kuratieren und am POS zu inszenieren. So kann er auf einer extra dafür bereitgestellten, festen Fläche dem Kunden einen guten Überblick bieten. Auf diese Weise kann sich der interessierte Konsument gebündelt über dieses Thema, die verschiedenen Facetten und die entsprechenden Produkthighlights im Markt informieren. Diese Nachhaltigkeitsfläche im Laden wird regelmäßig neu bespielt.
Neben geschultem und begeisterungsfähigem Verkaufspersonal werden auch alle digitalen Möglichkeiten der Kommunikation und Kundenaktivierung genutzt (Instagram Posts, E-Mail Marketing, Digital Signage am POS etc.).
Die Fläche kann durch ein Omnichannel-Modul (App) für den Händler ergänzt werden, wo diese Artikel beschrieben werden (entsprechender Content mit Storytelling, Videos) und im Hintergrund eine direkte Verbindung zu den Online Shops der Hersteller existiert, d.h. die Auslieferung der Ware bei einem Kauf des Kunden übernimmt der Lieferant (in den Laden oder nachhause zum Kunden) – sofern dieser Artikel nicht vorrätig ist. Dieses Omnichannel Modul kann einfach in die Webseite des jeweiligen Händlers integriert werden (ggf. auch die Auswahl der Artikel jeweils angepasst werden). Es kann aber auch als Tablet Kiosk genutzt werden.
Die Vorteile für die Teilnehmer liegen auf der Hand:
Industrie
- Produktinnovationen, Markenkonzepte oder Flaggschiff-Produkte werden kompetent im Handel präsentiert (in einem limitierten Umfeld anderer Neuheiten zum Thema Nachhaltigkeit) und inszeniert: damit werden sie wahrgenommen und auch verstanden - Händler agiert als Botschafter für die Marke
- digitale Kampagnen mit Händlern, die das Produkt gleich prominent am POS platziert haben und (online) für den Kunden verfügbar sind
- durch diese 'Testflächen' ist im Gespräch verlässliches Feedback von Kundenseite möglich
Handel
- erheblicher Kompetenzgewinn bei seinen Kunden (Neuheiten im Markt zum Thema Nachhaltigkeit und mehr relevante, auch digitale Touchpoints)
- erhöhte Kundenfrequenz und Kundenbindung (der Kunde weiß, dass er immer neue Highlights über dieses Thema gezeigt bekommt und es sich lohnt, im Laden vorbeizuschauen)
- Erhöhung der Kundenbindung auch durch damit verbundene Events (z.B. Vorträge)
- der Händler positioniert sich als kompetenter Experte für Nachhaltigkeit im Sport
- gezieltes Ansprechen von (neuen) Kundengruppen (z.B. Generation Z) durch entsprechende Produkte (z.B. vegane Sneaker) im Zusammenspiel mit den digitalen Möglichkeiten
- kein Risiko für den Händler
- finanzieller Ausgleich (z.B. Umsatzbeteiligung) durch Bereitstellung der Fläche
2. Umsetzung des Trends Achtsamkeit
Das Interesse für Achtsamkeit ist in Zeiten der digitalen Überschwemmung mit Informationen immens. So fördert Achtsamkeit einen Lebensstil, der das Bewusstsein für das eigene Verhalten und die Verantwortung dafür verbessert und somit das Thema Nachhaltigkeit auf einer tieferen Ebene vorantreibt, ohne lehrerhaft zu wirken. Die Leute erkennen, dass man mehr aktiv und bewusst Entscheidungen treffen muss, um nicht weiter der Spielball der Interessen anderer zu sein. Gerade Sport (insbesondere Bewegung in der Natur) kann ein ideales Achtsamkeitstraining sein. Damit ist man den Aktivitäten der Sportbranche zu Nachhaltigkeit automatisch auch mehr aufgeschlossen und das Thema beschleunigt sich weiter.
Die Umsetzung des Achtsamkeitstrends durch konkrete Aktionen im Bereich Sport gemeinsam mit dem Konsumenten können gute Chancen sein, um das Thema abzurunden und indirekt entscheidend weiter voranzubringen.
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Das macht auch das obige Thema Nachhaltigkeit deutlich. Die entscheidenden Fragen sind: Wie sieht sich der Handel in der Zukunft? Welche Rolle will er zukünftig spielen? Welche Rolle soll er aus Sicht der Industriepartner spielen? Man sollte sich aktiv diesen Fragen stellen. Klar ist, dass die Aufgaben neu überdacht werden müssen: Produkteinführungen, Botschafter einer Marke, Showrooming, Experience Store, Erlebnisstätte Sport, Treffpunkt für Austausch und Kommunikation, Point of Emotion, Messung Kundenfeedback – all das wird zukünftig eine wichtigere Rolle spielen (gerade auch in der Mischung digital und analog). 
Das einfache Modell, möglichst viel Ware zu verkaufen und sich über die Marge der Verkäufe zu finanzieren (=Verteiler von Waren für den Endverbraucher), wird auf Dauer alleine nicht mehr funktionieren. Es müssen neue Geschäftsmodelle her. Man darf gespannt sein, wie diese aussehen werden. Der Laufschuh im Abo aus recyclebarem Bohnenmaterial ist da ein interessanter erster Ansatz. Aber grundsätzlich scheint der neue Weg in Richtung einer vertieften Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen Industrie und Handel unvermeidlich zu sein.
Ein Beitrag von Stefan Brunner, SportLifeInsights



Das könnte Sie auch interessieren