Der "Bullwhip-Effekt" 12.12.2022, 09:10 Uhr

Wie der Handel jetzt mit Daten seine Margen retten muss

Das Lieferketten-Chaos lässt den Handel einfach nicht los. Corona-Nachwirkungen, Krieg, Energiekosten und Inflation - immer neue Krisen bringen Turbulenzen in das Geschäft. Der Handel muss jetzt mehr denn je Daten nutzen, um profitabel zu bleiben.
(Quelle: Shutterstock/everything possible)
Ein Beitrag von Björn Stauss, Area Vice President CEE bei Anaplan
Wie hätte wohl jemand zum Höhepunkt der Corona-Pandemie 2020 die Zukunft des Online-Handels prophezeit? Damals boomte der E-Commerce und selbst Menschen, die sonst nie online gekauft haben, entdeckten das Online-Shopping. Der Onlinehandel sah goldenen Zeiten entgegen. Davon sind wir heute weit entfernt. Zalando, das deutsche E-Commerce-Unternehmen, sieht sich gezwungen, hunderte Mitarbeitende zu entlassen. Selbst der Branchenprimus Amazon lässt Federn und reduziert die Angestelltenzahl drastisch.
Die Lieferkettenprobleme, die sich seit dem Corona-Chaos nicht normalisiert haben, die Energiekrise, die die Lagerkosten nach oben treibt und die Inflation, die die Kauflaune in Westeuropa verdirbt - all das zeigt seine Wirkung. Für viele Unternehmen kommt es nun darauf an, ihre Margen zu retten. Denn genug Gewinne zu erzielen und gleichzeitig die Kauflaune der Konsument:innen anzuregen, ist ein Balance-Akt. Die richtige Nutzung von Daten kann die Lösung sein.
Björn Stauss, Anaplan
Quelle: Anaplan

Mit Daten gegen den "Bullwhip Effect"

In den Jahren 2020 und 2021 waren diverse Waren überaus knapp: Durch die Lieferketten-Krise waren Produkte von Halbleitern bis Toilettenpapier Mangelware. Die Produzenten reagierten und erhöhten ihre Produktion, um der steigenden Nachfrage Herr zu werden. Heute trifft das Resultat des "Bullwhip-Effekt" (deutsch: "Peitscheneffekt") den Handel: Durch die Produktionssteigerung haben viele Händler mit Überkapazitäten zu kämpfen. Während manche Produkte immer noch knapp sind (Paradebeispiel Playstation 5), laufen anderswo die Lager über. Üblicherweise wäre die Reaktion, Produkte zu rabattieren. Doch mit den steigenden Kosten bei Energie und Logistik sowie der allgemeinen Inflation schrumpfen die Margen ohnehin. Was ist also zu tun?
Strategie 1: Nachfrage antizipieren
Das wichtigste Element für den angebotenen Produktmix, den Händler bieten, ist der genaue Blick auf den Point-of-Sale. Dort lässt sich ablesen, wie preissensitiv die Konsument:innen bei bestimmten Produkten sind. Aktuell lässt sich besonders bei Lebensmitteln beobachten, dass Verbraucher:innen eher zu günstigeren Alternativen greifen. Da ist es logisch für den Händler, das Lager mit Hausmarken aufzufüllen, während er bei den teureren Markenprodukten weniger nachkauft. Für die Angebotsplanung sollte der Absatz also genau im Blick behalten werden. Die Königsdisziplin ist jedoch die kurzfristige Vorhersage.
 
Moderne Planungstools können heute auf der Grundlage historischer Daten (Absatz) und externer Daten (Energiekosten, Inflation, aktuelle Ereignisse) Wenn-Dann-Szenarien modellieren, die eine genauere Planung zulassen. So kann beispielsweise der Produktmix besser geplant werden. Das richtige Sortiment wird datenbasiert so zusammengestellt, sodass mit den geplanten Kosten im Einkauf der Umsatz entsprechend der prognostizierten Nachfrage maximiert werden kann. Einen Schritt weiter geht noch das sogenannte Demand-Sensing: Mit solchen Tools werden Trends in Echtzeit im Netz und insbesondere in Sozialen Netzwerken beobachtet. Eine TikTok-Challenge kann heute eine veritable Nachfragespitze erzeugen. Man erinnere sich nur an Fidget Spinner. Mit Demand-Sensing kann eine solche Spitze vorhergesagt werden und Händler können in ihrer Einkaufsplanung darauf reagieren. Der Vorteil: Das Angebot kann so gestaltet werden, dass die Nachfrage erfüllt werden kann, aber man nicht auf einem vollen Lager sitzen bleibt, sobald der Trend wieder abebbt.
 
Strategie 2: Nachfrage steuern
 
Wer heute auf überfüllten Lagern sitzt, der wird zuerst eine Rabattaktion in Betracht ziehen. Auch Amazon hat einen zweiten Prime Day im Oktober eingeführt, um die Nachfrage in einem kontrollierten Umfeld anzukurbeln. Ein schlauer Zug, denn so kann der E-Commerce-Riese seine Lager vorbereiten und den Bestand kontrollieren - und vor allem die Lager noch einmal vor dem Black Friday und Feiertagswahnsinn räumen. Daten geben bei den Rabattaktionen die Möglichkeit genau zu verfolgen, welcher der beste Preispunkt ist, um maximalen Verkauf bei bestmöglicher Marge zu garantieren. Denn bei jeder Aktion muss auch bedacht werden, dass die Einkaufspreise steigen und die Marge schrumpft.
 
Um die Nachfrage auch zeitlich zu steuern, können Lay-Away-Angebote helfen. In dem Fall kaufen Kunden sofort und können die Ware später in einem physischen Geschäft abholen. Alternativ kann auch das frühzeitige Einkaufen zu bestimmten Feiertagen incentiviert werden. Das entzerrt die Nachfragespitzen und macht die Lagerplanung einfacher. Der Effekt, den diese Maßnahmen erzielen, sollte genau beobachtet und bei der weiteren Planung berücksichtigt werden. Auf Grundlage dieser Daten kann der Effekt erst voll ausgenutzt werden. Bei den Rabatt-Aktionen sollte jedoch immer beachtet werden, dass kein Gewöhnungseffekt eintritt. Wenn Kunden zu oft mit Prozenten geködert werden, gewöhnen sie sich schnell an den Preis und glauben, die Ware immer zu guten Deals zu bekommen. Wer sich also nicht die Preise verderben will, sollte Rabatte klar strukturieren und rechtzeitig beenden.
 
Strategie 3: Personalplanung in die Supply-Chain-Planung einbeziehen
 
Das Thema der Personalplanung wird in der Diskussion zu oft vernachlässigt. Immerhin werden im Dezember und Januar so viele saisonale Arbeitskräfte gebraucht wie nie. Es ist also naheliegend, dass Supply-Chain-Verantwortliche, HR und die Finanzabteilung Hand in Hand arbeiten sollten. Die Planung muss deshalb bereichsübergreifend stattfinden. Ein Beispiel: Der Supply-Chain-Verantwortliche kann abschätzen, wann Ware in welchen Lagern ankommt, und wie groß die Nachfrage ist. Damit die Produkte schneller beim Kunden ankommen, wird genau dann eine gewisse Personenzahl für Lager, Logistik und so weiter benötigt. Im Rahmen einer vernetzten Planung kann dann abgeschätzt werden, wie hoch die Kosten für die Neueinstellung für die Saisonarbeitskräfte sind, im Vergleich zu den Umsatzeinbußen, die dadurch entstehen könnten, dass die Nachfrage nicht bedient werden kann.
 
Diese Rechnung sollte in diesem Jahr unbedingt aufgestellt werden. Denn Experten rechnen mit einer Feiertagssaison, die deutlich schwächer ausfällt als in den vergangenen Jahren. Inflation und Energiekosten sind dafür ausschlaggebend. Gleichzeitig hinkt der Vergleich zum letzten Jahr, indem massiv Personal ausgebaut werden musste, um Corona-bedingte Ausfälle zu kompensieren. Es sollten also aktuelle Daten sowie Datenpunkte aus den vergangenen Jahren - auch vor Corona - einbezogen werden. Wer jetzt sein Geschäft darauf einstellt und die Lohnkosten realistisch einpreist, ist klar im Vorteil.

Fazit

Egal, ob eine der Strategien, zwei oder alle drei angewendet werden, so wird doch eine Sache deutlich: Daten sind der Schlüssel. Der E-Commerce muss sich auf eine turbulente Feiertagszeit einstellen. Wenn dieser Artikel erscheint, ist es für den ein oder anderen Händler vielleicht schon zu spät seine Strategie anzupassen. Dann ist jetzt die beste Gelegenheit, alle zur Verfügung stehenden Daten zu sammeln, zu vernetzen und für die nächste Auswertung zu aggregieren. So entsteht echtes "Connected Planning": Ein Datenschatz, der die Grundlage für bereichsübergreifende vernetzte Planung bietet - und der in der nächsten Saison viel Geld sparen kann.



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