Shop-Technologien 20.09.2023, 08:13 Uhr

Die E-Commerce-Branche hält AI für eine intelligente Schreibmaschine

Ein aktueller Report beleuchtet die Einstellung der E-Commerce-Branche zum Thema AI. Das Fazit: Die Potenziale sind zwar angekommen, die Entwicklung beschränkt sich jedoch auf Text und Produktivität. Ein Kommentar von Jochen G. Fuchs, Redakteur bei "Internet World".
(Quelle: Shutterstock/Moor Studio)
Das US-Medium Future Commerce hat in Zusammenarbeit mit Shopware, Bloomreach und Stripe untersucht, wie die US-E-Commerce-Branche mit dem Thema AI umgeht. Die Ergebnisse lassen sich grob auch auf die deutsche Branche übertragen.

Die Ergebnisse des Reports "The State of GenAI x Commerce" zeigen, dass die Branche verstanden hat, dass im Thema künstliche Intelligenz ein großes Potenzial schlummert. 91 Prozent nutzen AI für ihre tägliche Arbeit, 65 Prozent wollen im nächsten Jahr das Budget aufstocken. 64 Prozent der befragten Führungskräfte geht davon aus, dass KI das Kundenerlebnis verbessern wird und einen Wettbewerbsvorteil bietet.

AI wird überwiegend als Produktivitätsbooster und Content-Generator genutzt

Allerdings scheint es so, als würde die Branche das Potenzial hauptsächlich in einer intelligenten Schreibmaschine verorten.

Es wird überwiegend Text oder allgemeiner gesprochen, Content, mit KI erzeugt. Anscheinend ist ChatGPT gedanklich schon fast zu einem Synonym für AI geworden. Was problematisch ist.

Shopware Co-CEO und Mitgründer Stefan Hamann findet dafür einen passenden Vergleich: „AI ist ein Auto mit 20 Gängen, aber unsere Ergebnisse zeigen, dass die meisten Onlinehändler nur einen Gang nutzen – und sich damit letztlich selbst unter Wert verkaufen“, sagt Hamann. „Mit anderen Worten: Die Branche schöpft nur einen kleinen Teil des AI-Potenzials aus, indem sie es ausschließlich zur Erstellung von Texten nutzt.“

Künstliche Intelligenz ist kein Wettbewerbsvorteil

Ein Missverständnis aus dem Report möchte ich gleich ausräumen: KI bietet keinen Wettbewerbsvorteil. 

Das ist ungefähr so, als hätte man damals den Herstellern von Pferdefuhrwerken den Einsatz eines Verbrennungsmotors in einer Kutsche als Wettbewerbsvorteil verkauft.

Wir stehen am Beginn einer Evolution, KI einzusetzen, ist kein Wettbewerbsvorteil, sondern überlebensnotwendig. Eines Tages nutzen alle KI, durch den Verzicht auf die Technologie würde jedes Unternehmen unweigerlich in Rückstand geraten.

Ich verstehe, dass die naheliegendsten Aufgaben zuerst angegangen wurden. Angesichts der Wirtschaftslage ist eine Produktivitätssteigerung extrem sinnvoll und leicht als Investment zu verkaufen. Und generative AI produziert beeindruckend schnell und qualitativ akzeptablen oder gar hochwertigen Content. Schnelle Resultate.

Aber nichts davon hat den ultimativen Wettbewerbsvorteil eingebracht. Dabei hat KI das Potenzial, das Gesicht des E-Commerce vollständig und für immer zu verändern. 

„Generative AI hat grenzenlose neue Möglichkeiten für den E-Commerce geschaffen. So bedeutend die Anwendungsfälle für die Produktivität auch sein mögen, es ist an der Zeit, über den Tellerrand hinauszuschauen – und die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die AI für das gesamte Online-Shopping-Erlebnis bereithält, so Raj De Datta, CEO und Mitbegründer von Bloomreach. „AI verändert bereits die Art und Weise, wie Kunden einkaufen. Es mag für Händler ein Risiko sein, sich dieser Technologie zu öffnen, aber wenn sie es nicht tun, ist das Risiko noch größer.“

Die Frage ist, wer wird das Gesicht des E-Commerce verändern?

Die Suchmaschinenbetreiber, wie Bing es mit Einkaufsberatung direkt in der Suche versucht?

Oder doch große KI-Entwickler wie OpenAI, die, wie Bill Gates erwartet, irgendwann mit universellen persönlichen AI-Assistenten, den Einkaufsprozess an sich reißen werden? Und Onlineshops überflüssig machen könnten?

Ähnlich wie die Marktplätze im vergangenen Jahrzehnt zum ultimativen Hüter über den Kundenzugang wurden, könnte im nächsten Jahrzehnt KI zum Hüter über den Kundenzugang werden. 

Nämlich dann, wenn die Innovationen im E-Commerce weiterhin unter der Motorhaube stattfinden, statt gut sicht- und erlebbar für den Kunden.

Es ist an der Zeit, die Motorhaube zu schließen und Innovationen zum Kunden zu tragen.



Das könnte Sie auch interessieren