Zukunft Kreislaufwirtschaft 07.12.2020, 10:24 Uhr

So findet die Textilbranche Wege aus der Wegwerfgesellschaft

Kleidungsstücke können heute kaum recycelt werden. Die Branche arbeitet schon länger an sinnvollen Lösungen – doch wo steht sie bis dato? Einen ersten Überblick verschafft die Konferenz Sustain & Innovate, die sich mit dem Thema Kreislaufwirtschaft beschäftigt. 
(Quelle: H&M)
Vor allem die Fast-Fashion-Industrie ist in den Verruf geraten, den Markt mit unendlichen Bergen an Bekleidung zu überschwemmen, die letztendlich kaum mehr in den Kreislauf zurückgeführt werden können. Das Problem: Viele Kleider, die wir tragen, sind auf Grund von Materialzusammensetzung, Produktion und oft auch mangelnder Qualität nicht mehr wiederverwertbar, sei es für die Altkleidersammlung oder für Recyclingzwecke. Statt wirklich recycelt, werden Altkleider oft downgecycelt. Taugen die Altkleider auch dafür nicht, werden sie als Restmüll verbrannt. Doch sowohl Hersteller als auch Kunden setzen oft auf Kleidung, die billig ist mit oft unschönen Nebenerscheinungen. Billigware überlebt nur wenige Waschgänge, reißt schnell, verliert an Form, sieht schnell nicht mehr schön aus und wird damit auch schnell vom Besitzer entsorgt. Zu groß ist schließlich die Versuchung, sich mit neuen, qualitativ minderwertig hergestellten Produkten einzudecken. Das Ergebnis: noch größere, nicht-recycelfähige Textil-Müllberge. 
Die Outdoor-Branche agiert beim Thema Nachhaltigkeit in vielen Punkten als Vorreiter – schon längst kommt man ohne schädliches PFC aus, Naturmaterialien und Recycling stehen hoch im Kurs, Ressourcen werden eingespart und an umweltfreundlicheren Produktionsverfahren getüftelt bis hin zur nachverfolgbaren Lieferkette. Immer mit einem Ziel vor Augen: den ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten. „Kreislaufwirtschaft ist entscheidend. In einer Welt, in der Emissionen reduziert, weniger Energie verbraucht wird und Ressourcen geschont werden müssen, ist Kreislaufwirtschaft eine der Lösungen. Besonders in der Textilindustrie, die zur Herstellung von Polyester auf Öl angewiesen ist. Das Recycling von Plastikflaschen ist weitaus besser als die Beschaffung von herkömmlichem Polyester. Dies ist ein Weg, den wir seit Beginn von Picture 2009 einschlagen, um Teile der Kollektion herzustellen. Aber es gibt ein aber! Plastikflaschen sind Abfall und basieren auch auf Öl. Man kann sie also nicht wirklich als langfristige Lösung sehen“, erklärt Florian Palluel, Sustainability Manager, Picture Organic Clothing. Bis dato bleibt ein Problem fast ungelöst: Wie lassen sich Kleidungsstücke in den textilen Kreislauf zurückführen?

Wege raus aus der Wegwerfgesellschaft

Quelle: Armed Angels
„Für uns ist Kreislaufwirtschaft die Zukunft! Wir müssen radikal umdenken. Seit über 13 Jahren stehen wir bei Armed Angels für Eco & Fair. Doch auch das nachhaltigste Fashion Unternehmen verbraucht Ressourcen und generiert Müll! Deswegen werden wir das lineare Modell von „Herstellen - Nutzen – Wegwerfen“ gemeinsam durchbrechen und uns auf den Weg Richtung Kreislaufwirtschaft machen. Denn: 88 Prozent aller Kleidungsstücke landen am Ende auf dem Müll. Das ist sozio-ökologischer Wahnsinn“, erklärt Lavinia Muth, der Sustainability Managerin bei Armed Amgels. Doch wie lässt es sich vermeiden, dass Kleidung nach dem Lebenszyklus einfach weggeworfen wird oder besser gesagt, ist es im Vorfeld essentiell die Haltbarkeit eines Produktes zu überprüfen? „Kreislaufwirtschaft – das ist die kommende große Transformation unserer Gesellschaft. Das bedeutet nicht nur, alle Materialien und Produkte in einem geschlossenen Kreislauf zu halten. Sondern auch, die Nutzungsdauer der Produkte zu verlängern, Reparaturlösungen anzubieten, Produkte wiederzuverkaufen. Und das alles am besten auch in einem geschlossenen Produktionskreislauf, im Sinne von erneuerbaren Energien, regeneriertem Wasser- und Chemikalieneinsatz, um es dann dem Recycling zuzuführen. Somit sprechen wir nicht mehr vom Ende eines Produktlebens.“
Es gibt Wege aus dieser Einbahnstrasse – aber die Lösung des Problems können Hersteller, Produzenten und Konsumenten nur gemeinsam angehen. Fjällräven zum Beispiel setzt neben nachhaltiger Produktion und der Verwendung von umweltfreundlichen Materialien auf Haltbarkeit und Qualität – nicht umsonst ist die Outdoor-Marke 2020 zum nachhaltigstem Label in Schweden gekürt worden. „Produkte sollten im physischen, aber auch im emotionalen Sinne qualitativ hochwertig und langlebig sein. Was nützt ein Kleidungsstück aus dem haltbarsten Stoff der Welt, wenn es sich nur ein Jahr nach dem Kauf nicht mehr up to date anfühlt? Aus diesem Grund hat zeitloses Design für uns einen sehr hohen Stellenwert. Und wir freuen uns, wenn wir sehen, dass unsere Produkte von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, weil es uns gelungen ist, eine langfristige Relevanz zu schaffen, die dazu beiträgt, ein nachhaltigeres Verhalten zu ermöglichen“, so Christiane Dolva, Head of Sustainabilty bei Fjällräven.
Der erste Weg, den ein abgetragenes Kleidungsstück gehen muss, ist der Weg zur Altkleidersammlung. Viele Menschen möchten damit soziale Projekte unterstützen, möchten ihrer Kleidung ein zweites Leben bescheren und damit sozial benachteiligte, ärmere Gesellschaftssgruppen unterstützen. Ein zweiter Weg wäre der Weg zurück zum Hersteller bzw. Händler, der die Altware zurücknimmt, versucht sie zu reparieren und im schlimmsten Fall wieder zu recyceln. Hier kommen u.a. Marken wie Bergans, Vaude, Nudie Jeans, aber auch Fashion-Ketten wie H+M, & Other Stories oder COS ins Spiel.
Ein dritter Weg wäre ein Verleih- bzw. Rentalsystem für Bekleidung. Bestes Beispiel das Projekt Cyclon, unlängst von der Schweizer Runningmarke On ins Leben gerufen. Ein zu 100 Prozent recycelbarer Performance Laufschuh aus der Rizinusbohne. Doch das ist nicht genug. Denn selbst ein recycelbares Produkt, welches nach der Benutzung einfach auf dem Müll landet, hat wenig gewonnen. Deshalb sieht sich der Schweizer Hersteller in der Verantwortung, die von sich produzierten Produkte, auch wieder einzusammeln. Dafür wurde der erste Abonnementservice für Laufschuhe und -bekleidung eingeführt. On möchte zeigen, dass nicht der Besitz, sondern das Erlebnis mit dem Produkt im Vordergrund steht. „80 Prozent des ökologischen Fußabdrucks eines Produkts entfällt auf die Materialherstellung. Aus diesem Grund konzentriert sich On auf das Recycling von Materialien. Mit Cyclon haben wir einen zu 100 Prozent recycelbaren Performance-Laufschuh entworfen, welchen der Kunde nicht kaufen kann – er kann ihn im Abo mieten. Dadurch wird garantiert, dass das Produkt zu uns zurückkehrt und wir es auf einen neuen Lebenszyklus schicken können“, so Viviane Gut, Head of Sustainability bei On. Und weiter: „Kreislaufwirtschaft beginnt beim Design und endet beim Recycling und zieht sich damit durch den gesamten Produktionsprozess. Somit kann sich keiner der genannten “Mitspieler” aus der Verantwortung ziehen. Es sollte nach innovativen Ideen gesucht werden, welche den gesamten Prozess berücksichtigen. Beispielsweise können Produkte einfacher wieder verwertet werden, welche bereits zu Beginn des Kreislaufs aus möglichst wenig verschiedenen Materialien entwickelt wurden. Aus diesem Grund besteht der Cyclon Laufschuh zu einem Großteil aus biobasierten Materialien der Rizinusbohne.“

Ein ganz anderer Weg, wäre der, den man in der Lebensmittelindustrie bereits geht

Hier dient ein Recycling-Code als Kennzeichnung verschiedener Materialien, der letztendlich die Rückführung in den Wiederverwertungskreislauf gewährleistet. Der Code besteht aus dem Recyclingsymbol: drei (oft grüne) Pfeile – die den Verwertungskreislauf widerspiegeln sollen – und einer Nummer, die das Material kennzeichnet. Was wäre, wenn ein derartiges Symbol auch in der Bekleidungsindustrie eingeführt werden würde? Lisa-Marie Strasser ist Creative Sourcing Manager bei Schöffel und denkt hier schon weiter: „Ich denke in puncto Kreislaufwirtschaft gäbe es verschiedene Lösungsansätze. In jedem Fall wäre es jedoch sinnvoll, wenn recyclingfähige Bekleidung ähnlich wie bei Lebensmittelverpackungen ein einheitliches Recycling-Symbol bekommen würde. So könnten die Produkte besser sortiert und einfacher wieder in ihren Kreislauf zurückgeführt werden – hier müsste der Staat eingreifen und entsprechende Gesetze erlassen. Zudem wären Kunden beim Kauf eines Artikels sofort darüber informiert, ob ihr T-Shirt recycelfähig ist.“

Der Weg zu mehr Verantwortung – der Weg zur textilen Kreislaufwirtschaft

Um die Lücke zu schließen, ist vielleicht die Rückführung alter Materialien in neue Stoffe der entscheidende Schritt. Heute setzt man auf mechanische oder chemische Verfahren, um Fasern wiederzugewinnen. Das setzt jedoch auch voraus, dass man die Sammlung und Sortierung der wachsenden Textilabfälle in den Griff bekommt. Im Zuge der mechanischen Wiedergewinnung von Fasern verändert sich die grundlegende Struktur des vorhandenen Stoffs nicht. Für Textilien aus reiner Baumwolle und Wolle bedeutet das die Zerkleinerung zu Rohfasern, die dann erneut versponnen und verwoben werden können. Dank eines neuen, mechanischen Verfahrens, an dem der Engineering- und Entwicklungsdienstleister imat-uve gemeinsam mit einem deutsch-niederländischen Projektkonsortium arbeitet, könnte sich das nun ändern. Die so gewonnen Recycling-Garne und -Webstoffe sollen vor allem in der Automobilindustrie, aber auch in Branchen wie Architektur, Heimtextil und Bekleidung Anwendung finden. Wie Recycling-Baumwolle wird heute auch Recycling-Polyester größtenteils durch mechanisches Recycling gewonnen. Für Polyester bedeutet das aber, die vorhandenen Kunststoffe einzuschmelzen und daraus wieder Fasern zu spinnen. Für mechanisches Recycling ist deutlich weniger Energie erforderlich als wenn man Textilien ganz neu herstellen würde, aber im Verarbeitungsverfahren werden die Fasern verkürzt, was ihre Festigkeit und Qualität gegenüber dem Originalmaterial verringert. 
Dem gegenüber steht das chemische Recycling. Hier werden auf Molekularebene Polymere extrahiert und zu Primärrohstoffen wiederaufbereitet. Worn Again Technologies und The Regenerator, Gewinner des 2018 H&M Foundation Global Change Award, sowie Blend Re:Wind von Mistra Future Fashion, haben Wege gefunden, Zellulose und Polyesterpolymere aus Baumwollmischgeweben zu isolieren. Firmen wie Re:newcell, Infinited Fibre und Evrnu richten ihr Augenmerk darauf, Zellulosefasern aus Baumwolle und Viskose zurückzugewinnen. Chemisches Recycling von Textilien steht noch ganz am Anfang und ist derzeit teurer als mechanisches Recycling, zudem werden dabei oft schädliche Nebenprodukte freigesetzt.
Das Problem muss jedoch im Keim vernichtet werden. Denn: Laut einer Statistik des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BSVE) landen jedes Jahr alleine 10,01 Tonnen Altkleider und Neuware, die nie getragen wurde, im Müll. Der größte Teil davon wird verbrannt oder zu minderwertigen Vliesstoffen verarbeitet, da es keine Möglichkeit gibt, die Stoffe hochwertig wieder zu verarbeiten. Denn, Mischtextilien können nicht einfach wieder getrennt werden, oder nur mit aufwendigen, chemischen und daher wenig umweltfreundlichen Prozeduren.
Hier gibt es noch einiges zu tun, das weiß man auch bei Armed Angels:„Ohne Zusammenarbeit in der gesamten Wertschöpfungskette, und damit sind auch die Konsumenten gemeint, wird die Kreislaufwirtschaft nicht umsetzbar sein. Denn Verbrauchern kommt eine ganz neue Rolle in der Lieferkette zu, da sie zukünftig auch als Rohstofflieferanten fungieren werden, in dem sie durch Take-Back-Systeme ihre ausgediente Kleidung an die Hersteller zurückführen. Es ist total wichtig, dass man bereits in der Designphase den Lebenszyklus des Produktes bedenkt und die Voraussetzungen dafür gelegt werden, dass ein Produkt so lange wie möglich im Kreislauf gehalten werden kann, durch Langlebigkeit, Reparatur-, Wiederverkaufsmaßnahmen oder eben Recycling. Dabei sind auch innovative, klimafreundliche Technologien ein entscheidender Faktor, um die Rückverfolgbarkeit bzw. Zusammensetzung der Materialen transparent zu machen, damit eine erneute Verarbeitung und der Werterhalt möglich wird.“  




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