Interview mit Ruth Oberrauch 14.07.2025, 09:00 Uhr

Wie LaMunt den Berg neu erzählt

Ruth Oberrauch macht sichtbar, was in der Outdoor-Welt lange unsichtbar blieb: die Frau. Ihr widmet sie Kollektionen mit funktionalem Style, vor allem aber mit gesellschaftsrelevanter Philosophie. 
Ruth Oberrauch, Gründerin von LaMunt.
(Quelle: LaMunt)
Nur im Deutschen ist der Berg männlich, trägt einen ebensolchen Artikel. Nicht so im Französischen, Italienischen, Spanischen. Und eben auch nicht im Ladinischen, wie Ruth Oberrauch erklärt. Und dann holt sie aus, erzählt von der Namensfindung für ihr Unternehmen, ihrer Verbundenheit mit den Dolomiten und ihrer Großmutter, vom unstillbaren Bedürfnis, Frauen in der Outdoor-Welt etwas mitgeben zu wollen, etwas mit dem perfekten Fit, und mehr noch: etwas mit einer übergreifenden Philosophie. Mit SAZsport-Chefredakteur Stefan Brunner traf sich die LaMunt-Gründerin und Vizepräsidentin der Oberalp Group im gerade eröffneten Store in München. 

SAZsport: Die Idee für LaMunt ist dir auf einer Skitour gekommen …

Ruth Oberrauch: Es waren eigentlich zwei Momente, die mich zu LaMunt bewegt haben. Ausgangspunkt eins war in der Tat eine Skitour mit meinem Mann, der damals verantwortlich für Salewa war. Ich hatte eine tolle neue Skitourenhose an, eine neuartige Materialzusammensetzung mit Bodymapping, was ich so noch nicht gesehen hatte. Ich fand das super – aber sie war in Passform und einigen Details nicht gemacht für eine Frau. Ein Produkt, bei dem nicht daran gedacht wurde, wie der weibliche Körper gebaut ist.
… worüber du dich bei deinem Mann beschwert hast. 
Ja, und es war nicht das erste Mal. Er hat dann etwas genervt gemeint: Mach es besser. Das war der Anstoß für mich, mal wirklich nachzudenken, was sich verbessern ließe.

Du sagst, es gab noch einen zweiten Anstoß.
Ungefähr zur gleichen Zeit hat Christoph Engl, unser CEO, der damals noch neu im Unternehmen war und der ja aus der Markenberatung kommt, uns prüfend gefragt, wie wir unsere fünf bestehenden Marken auf dem Markt positionieren. Vor allem aber: Wie differenzieren wir die einzelnen Marken untereinander in dieser recht spitzen Bergsport-Bubble? Ich kam zu dem Schluss, dass alle unsere Marken eher männlich als weiblich geprägt sind.

Ruth Oberrauch, Gründerin LaMunt, Vizepräsidentin Oberalp
Zuständig für übergreifende Aufgaben im managementgeführten Familienunternehmen, der Oberalp-Gruppe. Unter anderem Teamleiterin für Personalwesen und Nachhaltigkeit. Gründerin und Verantwortliche der weiblichen Bergsportmarke LaMunt. Wie sie sagt: „Wir sind ein Kollektiv von Pionieren und Träumern.“

Und das fühlte sich unpassend an.
Es spiegelt auf jeden Fall nicht das, was ich am Berg erlebe. Vieles hat sich stark gewandelt. Wenn ich an meine Jugendjahre zurückdenke, als ich auf Skitour gegangen bin, als es noch kaum einer kannte: Da war ich ganz oft nur mit Jungs unterwegs. Was damals alternativenlos war, hat sich inzwischen drastisch geändert. Historisch gesehen ist der Berg eher männlich geprägt, aber das hat sich zum Glück sehr verändert!

Eine generelle Tendenz in der Outdoor-Welt?
Die Outdoor-Industrie hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren stark entwickelt, ist weiblicher geworden. Nur in unseren Marken – wie auch in vielen anderen – hat sich das noch nicht ganz widergespiegelt. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe immer wieder meine Gedanken dazu aufgeschrieben und irgendwann war es ein Konzept.
Zitat
„Die Outdoor-Industrie hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren stark entwickelt, ist weiblicher geworden.“


Gedankenaustausch, Gespräch, Interview – Chefredakteur Stefan Brunner traf LaMunt-Gründerin Ruth Oberrauch zur Geschäftseröffnung.
Gedankenaustausch, Gespräch, Interview – Chefredakteur Stefan Brunner traf LaMunt-Gründerin Ruth Oberrauch zur Geschäftseröffnung.
Quelle: Archiv LaMunt
… das Frauen helfen sollte, weiter Land gutzumachen im maskulinen Umfeld der Sportwelt.
Es gibt nach wie vor Aufholbedarf. All das ist längst überfällig, auch wenn man bedenkt, dass Frauen nicht nur für sich, sondern generell in der Familie sehr viele Kaufentscheidungen treffen.

Die Ehefrau, die ihrem Mann öfter ein Hemd kauft als umgekehrt.
Auch das. Damit müssen wir uns als Branche ganz allgemein beschäftigen, in der Produktentwicklung und in der Kommunikation. In der Mode ist es ja normal, dass es Marken gibt, die Kleidung nur für Männer oder eben nur für Frauen herstellen. Die einen machen nur Anzüge, die anderen nur Blusen und Kleider. Im Bereich Sport und Outdoor ist das eine Ausnahme.

Woran lassen sich die Veränderungen im Sportartikelmarkt gut festmachen?
Daran, dass es inzwischen eben auch Marken gibt, die nicht vorwiegend männlich, sondern zunehmend auch weiblicher sind, Maloja zum Beispiel. Aber auch die Marken im Haus Oberalp haben sich enorm entwickelt. Immer mehr frauenspezifische Textilien kommen auf den Markt, nicht nur der BH, sondern zum Beispiel auch Jacken, die jetzt wirklich anders sind als eine Herren-Jacke, nicht nur kleiner und pinker, sondern wirklich anders gemacht. Früher waren die Frauenvarianten einfach nur von der Männerversion abgeleitet.

Der Unterschied geht also über den Schnitt hinaus?
Es ist ein Unterschied, nur den Schnitt abzuwandeln oder das Produkt von Anfang an nur für die Frau zu denken. Als wir 2020/21 die erste Kollektion entwickeln wollten, haben wir relativ viele und intensive Workshops mit Frauen gemacht. Einfach um zu verstehen, was die Frau am Produkt sucht. Nicht nur an der Idee, nicht an der Vermarktung, sondern wirklich ganz konkret am Produkt. Ganz oft wurde zum Beispiel der untere Rückenbereich als Problemzone genannt, ein Bereich, in dem Frauen schnell empfindlich sind. Dort schwitzt man mit dem Rucksack und hat schnell das Gefühl, dass es zieht und zwickt.

Wie habt ihr das Problem gelöst? Gestaltet man diesen Bereich rund um den Unterleib herum dann flauschig und warm?
Genau so. Nehmen wir zum Beispiel unsere Hose „EVI“ aus unserer ersten Kollektion. Sie hat ein höheres Rückenteil, das wir mit Merinowolle-Tencel-Einsätzen gefüllt haben. Zum einen wird Feuchtigkeit dadurch schnell und gut nach außen transportiert, zum anderen wärmt es.

Das Feedback vieler Frauen hat unverkennbar gezeigt: Es gibt ein Bedürfnis nach höher geschnittenen Rückenteilen, die für Wärme und generellen Tragekomfort sorgen.
Quelle: Archiv LaMunt
Ein weiterer Bereich, dem eure Aufmerksamkeit gegolten hat?
Der Fit. Denn den für alle perfekten Fit von einer Hose oder einem T-Shirt – den wird man nicht finden, weil wir nun mal alle unterschiedlich gebaut sind. Wir haben sehr viel mit – wie wir sie nennen – Smart-Fit-Solutions gearbeitet: mit in das Produkt integrierten Lösungen, die es allen ermöglichen, das Kleidungsstück individuell auf sich anzupassen. Schauen wir uns die Jacken im Hüftbereich an. Dort arbeiten wir mit Reißverschlüssen. Und wenn man mehr Layer darunterlegt, trägt die Jacke nicht mehr an der Hüfte auf. Auch kann man die Jacke zur Weste umwandeln. Und dann haben wir noch integrierte Gummizüge, mit denen man die Jacke an der Taille weit oder eng stellen kann. Oder Jackenärmel, die womöglich etwas lang sind, aber durchs Zurückstülpen zu einem neuen Highlight werden.

Also nicht nur taillierter … 
Das auch, aber es gibt zunehmend Teile, die nicht einfach abgewandelt, sondern speziell für Frauen entwickelt sind – die es ähnlich gar nicht für den Mann gibt.

Und dann braucht eine Idee auch einen passenden Firmennamen. 
Ja, das ist bei einen Markenlaunch natürlich eine besonders spannende Fragestellung. Ich kann mich noch gut an diesen Prozess erinnern. Ich hatte angefangen zu definieren, wie sich meine Marke anfühlen soll: die Haptik, die Tonalität. Ich habe alles runtergeschrieben und in den drei Sprachen gebrainstormt, die ich spreche, Deutsch, Italienisch, Englisch. Englisch klingt schnell zu werblich. Irgendwann bin ich dann beim Ladinischen gelandet und bei meiner Oma, die diese alte rätoromanische Sprache noch spricht. Sie ist auch ein bisschen Role-Model für mich; ich habe eine sehr enge Bindung zu ihr, und auch zu den Dolomiten und dem Gadertal, wo sie herkommt. Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern, als ich bei ihr in der Küche saß mit meiner Liste und gefragt habe, wie man all das im Ladinischen sagt. „Du denkst zu kompliziert“, hat sie gemeint. „Munt“, sagte sie dann, das sei Ladinisch für „Berg“. Und weil der Berg im Ladinischen weiblich ist, entstand „LaMunt“.
Zitat
„Wir wollen zugänglich sein für alle Frauen, als inklusive Marke.“


Wie treffend! 
Ja. Der Name passt so gut, er hat mit dem „La“ das Weibliche und dem „Munt“ das Starke und Kantige.

Stellt die Outdoor-Werbung den Sport denn generell zu männlich dar? 
Das war tatsächlich eine Frage, mit der ich mich beschäftigt habe. Natürlich auch, weil wir bei Oberalp sehr unterschiedliche Marken haben: mit Dynafit etwa treten wir sehr performancegetrieben auf. Wir richten uns an Sportler, die das Athleten-Mindset haben. Bei LaMunt haben wir uns dagegen ganz bewusst entschieden, in der Kommunikation nicht über Spitzenathletinnen zu gehen. Wir wollen zugänglich sein für alle Frauen, als inklusive Marke.

In einem Interview hast du gesagt, dass du gern noch einmal am Anfang der Entwicklung wärst und dir dann noch mehr Zeit für Themen wie Design-Fit nehmen und noch tiefer eintauchen würdest.
Es ist nicht so, dass ich etwas anders machen würde. Aber es gab einen Aspekt, den ich unterschätzt habe. Bergsportmode, so die Meinung aller, hat ein bestimmtes Aussehen und weicht davon eigentlich nicht ab. Wir mussten also beweisen, dass Technizität trotz abweichend stylisher Komponenten erhalten bleibt, dass sich diese beiden Dinge also vereinen lassen.

Und ihr seid durchaus mutig vom Standard-Look abgewichen.
Grundsätzlich gilt: Du brauchst nichts Neues zu entwerfen, wenn du es nur wieder machst wie alle anderen. Wir haben uns also bewusst für eine etwas andere Designsprache entschieden. Wir gehen eher Ton auf Ton und nicht ins Color-Blocking. Wir haben kaum kantige Linien, eher runde Formen. Wir arbeiten nicht mit Neon-Kontrasten. Und das wird auch wahrgenommen, dass man anders ist, das bekommen wir schon gespiegelt.

Die Erkenntnis daraus fürs Marketing?
Dass man in erster Linie die Idee und die Werte transportieren muss, für die man steht. Erst dann kommen Dinge wie Technologien und so weiter. Als neue Marke muss man natürlich auch viel lernen. Letztes Jahr hatten wir ein Shooting in Südafrika, das eher das Adventure-Travelling-Thema bedient. Das ist unsere aktuelle Kampagne, die sehr gut ankommt. Dennoch musste ich für den Store hier zum Beispiel lernen, dass ich eher ein Bild brauche, das den „Berg“ transportiert und eben nicht nur Adventure-Travelling – um schnell zu klären, in welchem Kontext ich mich befinde.

Da hilft es sicherlich, dass LaMunt Teil der Oberalp-Gruppe ist, zu der vorneweg Salewa gehört. Mit Salewa verbinden sich eine Menge Berg-Assoziationen.
Das weiß natürlich nicht jeder Kunde, und wir spielen den Zusammenhang auch nicht proaktiv aus.

Wenn du die typische Kundin hier als Persona in vier oder fünf Aspekten erfassen müsstest – wie sähe sie aus?
Wir haben diese Frau tatsächlich sehr detailliert beschrieben. Sie heißt Lara, ist selbstbestimmt. Sie ist Frau, nicht Mädchen. Sie ist stilbewusst, aber niemand, der jedem Trend nachläuft. Sie hat ihren eigenen Stil. Ist achtsam, keine Aktivistin, legt aber Wert auf Qualität, will wissen: Wie sind Dinge gemacht? Welches Nachhaltigkeitskonzept steht dahinter? Ein Charakter, hat einen Sinn für die schönen Dinge. Genau das ist sie. Wir haben die LaMunt-Crew mit 20 – inzwischen sind es 23 – Frauen gegründet. Sie haben uns von Anfang an begleitet, schon bevor das erste Produkt auf dem Markt war. Das sind Frauen mit ganz unterschiedlichem Background, die Unternehmerin wie die Fotografin, aus München wie aus Mailand oder eben aus irgendeinem Bergdorf. Von der totalen Bergfanatikerin bis hin zur Genusswanderin.

Ein interessantes Beraterinnen-Gremium.
Diese Frauen sind wirklich so etwas wie unser Surrounding-Board. Sie testen die Produkte auch, lange bevor sie ins Geschäft kommen, geben Feedback. Alle haben eine eigene Sicht, das ist unglaublich bereichernd. Wir machen Workshops, und wir verbringen natürlich auch schöne Mountain-me-Time mit all den spannenden Persönlichkeiten. Ihre Art, den Berg zu verstehen, tut gut neben den extremen Geschichten der Athleten und Abenteurer.

Die Frauen treten in den Vordergrund. Die Me-too-Bewegung hat einiges bewegt. So ist beispielsweise auch der Umgang mit der Menstruation im Leistungssport offener geworden. Medien haben das Thema aufgegriffen. Es passiert etwas.
Ja, Frauen thematisieren ihr Frausein im Sport immer mehr. Egal, ob Schwangerschaft und Mutterschaft, eben auch das Thema Perioden und die sportliche Belastbarkeit. Es wird weniger tabuisiert. Zum Glück. Und den vielleicht größten Wandel erlebe ich am Berg. Ich beobachte immer mehr, dass Frauen nicht mehr nur – ich überspitze das jetzt ein bisschen – als Anhängsel ihrer Männer auf die Berge gehen, sondern auch allein und selbstorganisiert. Das ist eine spannende Entwicklung, denn historisch gesehen ist der Berg halt ein maskuliner Ort, gemacht zum Bezwingen, Erklimmen und Erobern.
Niemand kennt die Belange der Frau im Outdoor-Bereich besser als die Frauen selbst. Die gut 20-köpfige LaMunt-Crew begleitet die Entwicklung der Marke von Anfang an.
Quelle: Archiv LaMunt


Wie wir jetzt wissen, ist der Berg zumindest im Grundverständnis der Ladiner schon immer sehr weiblich.
nd dieses Bild wandelt sich inzwischen weit über die Dolomiten hinaus. Der weibliche Zugang zum Berg klingt nur ein wenig anders: In die Berge gehen, die Berge erleben, mich in den Bergen erleben. Was nicht heißt, dass die Frau nicht auch die Challenge liebt und ebenso gern auf einem Gipfel steht.

… auf dem sie, gesellschaftlicher Fortschritt hin oder her, trotzdem noch manchmal belächelt wird?
Es gibt ein Buch über die Frauen in Südtirol, die in den Bergen unterwegs waren. Wenn du das durchblätterst, dann spürst du schon sehr, dass man sie lange Zeit einfach nicht ernst genommen hat. Das Gute ist: Genau das erlebe ich heute nicht mehr so!




Stefan Brunner
Autor(in) Stefan Brunner


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