Rolf Schwarztrauber beklagt 12.02.2021, 10:34 Uhr

Offener Brief: "Der Handel hat leider keine Lobby"

Derzeit befragt SAZsport wie Sporthändler diesen Lockdown überleben. Rolf Schwarztrauber vom gleichnamigen Sportgeschäft in Mörlenbach hat uns nach Beantwortung unserer Umfrage noch seinen offenen Brief an die Politik geschickt, den wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.
(Quelle: SAZsport)
Offener Brief der Gewerbevereinigung Mörlenbach e.V.
1. Febr. 2021                                      
Ist Situation:
Wir haben mittlerweile ein Stadium erreicht das sehr nachdenklich macht. Corona ist für die Gesundheit gefährlich, für die Wirtschaft aber nicht weniger bedrohlich.
Soloselbständige und Kulturschaffende stehen vor dem Aus. Der Facheinzelhandel hängt am Tropf, das Handwerk hat noch Aufträge, Industriebetriebe erwarten ausgeglichene Ergebnisse, Lebensmittel-Einzelhandel, IT-Branche und Baumärkte waren bisher die Gewinner der Krise. Der Facheinzelhandel musste schließen, obwohl hier die Hygienemaßnahmen und intelligente Lösungen umgesetzt wurden und dafür Geld investiert wurde. Ebenso konnte im Fachhandel die Kundenfrequenz gesteuert werden genau wie in der Gastronomie, bei Friseuren und den Fitnessstudios.  Aus diesen Bereichen kamen wenn überhaupt die wenigsten Infektionen.
Ärgerlich sind momentan unter anderem die Wettbewerbsverzerrungen im Handel. Die großen Handelskonzerne, wie Kaufland, Real, Rewe, Selgroß, Metro etc. mit Tausenden von Kunden täglich und Gedränge an den Kassen, dürfen wegen Lebensmittel öffnen und nutzen diesen Vorteil zum Verkauf von breiten Nonfood Sortimenten. Sie bewerben auf mehrseitigen Inseraten genau die Artikel aus den Bereichen Mode, Schuhe, Sport, Elektro, Schmuck, Parfümerie, Haushaltswaren, Spielwaren, Möbel usw. eben das Kerngeschäft des geschlossenen Facheinzelhandels.
Das Geschäftsmodell des Click and Collect, funktioniert bei vielen Händlern nicht wirklich gut. Genauso wie der jetzt viel gepriesene Online-Handel. Große Online-Plattformen und Branchen-Spezialisten, die schon lange über eigene Webshops verkaufen, haben konstante Online-Umsätze  oder schreiben Pluszahlen. Neueinsteiger im Online-Geschäft aufgrund der Coronasituation haben dagegen wenig  Aussicht auf Verkaufserfolg. Wenn Sie zudem keine Spezialgebiete bearbeiten und somit keine definierten Zielgruppen ansprechen, fehlt ihnen der Bekanntheitsgrad.
Was lief verkehrt?
Die politischen Versäumnisse der letzten zwei Jahrzehnte aus allen Bereichen treten jetzt mit geballter Wucht zutage.Aus der Erfahrung vom Frühjahr 2020 hat die Politik nichts gelernt.
Rolf Schwarztrauber: "Die aktuelle Überbrückungshilfe, in Form der Erstattung der Fixkosten in Prozentstaffelung anhand des Umsatzrückganges ist eine weitere Frechheit der Regierung, die Auszahlung der Hilfen ein Desaster. Multis und Großkonzerne bekommen Milliardenhilfen und der Rest wird mit Peanuts abgespeist die nicht einmal zeitnah ankommen."
Quelle: Rolf Schwarztrauber
Die wirklichen Hotspots hat man nicht erkannt, obwohl man diese bereits seit letzten Sommer kannte. Mit einem gezielten Eingreifen hätte man diese in den Griff bekommen können. Wie beispielsweise beim Pflege und Reinigungspersonal in Altenheimen, Schulen und Kitas, dem Schulbusverkehr, Urlaubsrückkehrer per Auto aus den südöstlichen hochinfektiösen Ländern, welche hauptsächlich im Dienstleistungsbereich und der Pflege arbeiten, sowie den öffentlichen Nahverkehr. In Städten wie Tübingen und Rostock, wo die Bürgermeister teils gegen den Widerstand  ihrer Landesregierungen durchgegriffen haben, hat es funktioniert. Es war offensichtlich, nur für unsere Politiker scheinbar nicht. Auch die Vorbereitungen auf die von allen Wissenschaftlern im Sommer schon angekündigte zweite Infektionswelle durch frühzeitige Entwicklung allgemeingültiger Vorgaben und einer Strategie, sowie  Entwurf und Bereitstellung von strukturierten, verständlichen Antragsformularen, all das hätte man bereits ab Sommer 2020 in Angriff nehmen können.
Deutschland ist ein Hochtechnologieland und wir bringen es seit einem Jahr nicht fertig Hotspots zu separieren, Behörden zu digitalisieren und kleingeistige Bürokratie zu eliminieren.                   
Die politischen Entscheider aus Regierung und Ministerpräsidenten oder besser gesagt der Rückfall in die Zeit der Fürstentümer und Landgrafen “reagierte“ immer nur, je nach Bundesland unterschiedlich und dies mit teils sinnbefreiten Rundumschlägen und Flickwerk. Ein permanentes Hinterherhinken ohne Weitblick und ohne den gesunden Menschenverstand mit einzubeziehen war und ist leider die Regel. Leidtragender ist wie immer die Solidargemeinschaft.    
Einschätzung für 2021 und darüber hinaus:
Viele Unternehmen werden es nicht schaffen, ganze Branchen stehen auf der Kippe. Vor Sommer 2021 wird sich die aktuelle Situation nicht umfassend entspannen, auch dank der hervorragenden und vorrausschauenden Impfstrategie. Wo zu wenig und zu spät Impfstoff bestellt wird, kann auch nicht geimpft werden. Ergebnis: Impfchaos. Und dann sollen sich über 80-Jährige mit einem QR-Code anmelden. Noch Fragen? Wieder einmal hat die Regierung versagt und auf ein gemeinsames Handeln mit den EU-Mitgliedern gesetzt, ein Verbund  von 26 Staaten in denen jeder nur seinen eigenen Vorteil sucht. Hat allen ernstes irgend jemand ein anderes Ergebnis erwartet?
So viel Inkompetenz  kann einem Angst machen. Hierzu nur zwei weitere aktuelle Stichworte: Autobahnmaut und Wirecard. Meine Prognose wird eine folgeschwere wirtschaftliche Rezession sein, die uns die nächsten Jahre begleitet. Die Läger im Handel sind voll, die Umsätze sind wegen Geschäftsschließungen ausgeblieben, die finanzielle Lage ist angespannt. Dies wird sich bei der Order für den nächsten Winter massiv auswirken. Diese Welle wird dann die Hersteller und Lieferanten treffen.  
Durch die vielen Insolvenzen und Geschäftsschließungen auf die wir uns zu bewegen wird das Ausbluten der Innenstädte und der Verlust der Handelslandschaft im ländlichen Raum fortschreiten. Die Folgen bei Kultur und im Vereinsleben mag ich hier gar nicht erst beleuchten.
Ich gehe jede Wette ein, dass spätestens zwei Monate nach der Bundestagswahl im September der erste Regierungspolitiker fordert, Corona war zu teuer, wir müssen die Mehrtwertsteuter sowie weitere Steuern erhöhen, Subventionen kürzen, einen Corona-Soli installieren und vieles mehr an Kosten vom Steuerzahler einfordern. So kennen wir unsere Volksvertreter und so wird es kommen. Das gleiche wird auf kommunaler Ebene passieren, da auch hier die finanzielle Situation angespannt ist.
Noch eine Anmerkung am Rand, betreffend den Einzelhandel:
Laut Statistik sind fast die Hälfte der deutschen Einzelhändler 50plus, die Babyboomer-Jahrgänge also, welche in den nächsten Jahren in Rente gehen. Die Altersvorsorge zur Minimalrente besteht in vielen Fällen aus Lebensversicherungen, abgeschlossen in den 70er und 80er Jahren, da ein Invest in Aktien und Fonds damals noch nicht die Regel war. Die Ertragssituation vieler Einzelhändler bedingt durch den Strukturwandel ließ danach auch keinen weiteren Invest in Immobilien oder anderen Anlagen zu. Diese LV´s bringen aufgrund der Euroeinführung 2001 und der EU-Zinspolitik des letzten Jahrzehntes aber nur noch einen Bruchteil des ursprünglich geplanten Ertrags für die  Altersvorsorge zur Auszahlung. Darüber hinaus  haben viele Händler jetzt  Ihre privaten Rücklagen wegen Corona in Ihr Unternehmen investiert um nicht in die Insolvenz zu gehen.
Die aktuelle Überbrückungshilfe, in Form der Erstattung der Fixkosten in Prozentstaffelung anhand des Umsatzrückganges ist eine weitere Frechheit der Regierung, die Auszahlung der Hilfen ein Desaster. Multis und Großkonzerne bekommen Milliardenhilfen und der Rest wird mit Peanuts abgespeist die nicht einmal zeitnah ankommen. Auch hier stehen Tausende von Arbeitsplätzen, Existenzen und Lebensleistungen auf dem Spiel. Der Handel hat eben leider keine Lobby.
Was da noch auf uns zukommt kann man sich leicht ausrechnen. Es ist mit Sicherheit schwierig eine vernünftige Balance zwischen dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger einerseits und einem Überleben der Wirtschaft zu finden. Deshalb sollte man sich auf die wirklichen Infektionsherde konzentrieren und Zonen mit hohen Infektionen geschlossen halten, andererseits sind Bereiche mit sehr geringen oder keinen Infektionszahlen sowie funktionierenden Hygienemaßnahmen unverzüglich zu öffnen.                                                                                     
Ein weiter so mit einer permanenten Verlängerung des Lockdowns als Allheilmittel kann nicht hingenommen werden. Man kann nicht ein ganzes Land an die Wand fahren. Die Folgen wären auf Jahre hinaus nicht mehr zu korrigieren.
Rolf Schwarztrauber  
Sport Schwarztrauber  / Vorstand der Gewerbevereinigung Mörlenbach


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