SAZsport Experten 04.08.2017, 08:07 Uhr

Digitalisierungs-Opportunismus? Schnee von gestern!

Hand aufs Herz: Die Umsetzung der Digitalisierung in der Branche und damit der digitalen Potenziale findet meist eher opportunistisch statt. Mehr als nachvollziehbar, wenn man sich die schier unüberschaubaren Möglichkeiten und Angebote der Digitalisierung zu Gemüte führt.
Philipp P. Prechtl, Bereichsleiter Sport, Mode und Lifestyle bei der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner
Vom Online-Shop und Social-Media-Kanal bis hin zur individualisierten Produktion von „Losgröße 1“ – alles ist dabei. Die Sorge, sich zu verzetteln oder ohne erkennbaren Mehrwert zu investieren, ist daher durchaus berechtigt. Je nach internem Know-how und gedanklichen Schwerpunkten der Ausrichtung werden also punktuelle Initiativen ergriffen – und mehr oder weniger konsequent umgesetzt. Das Ergebnis? Das ist meist ernüchternd und wenig zufriedenstellend. Denn weder werden die Potenziale der Digitalisierung auch nur ansatzweise ausgeschöpft, noch hinterlassen diese eine messbar positive Wirkung.
Wer die digitale Transformation sinnvoll angehen will, sollte folgende Punkte ernst nehmen:
Die digitale Transformation ist mehr, als einen Online-Shop aufzubauen!
Die digitalen Technologien greifen in alle Stufen der Wertschöpfungskette ein und bieten umfassende neue Geschäftschancen:
 
–  „Smarte Produkte“, die z.B. Vitalitätsparametern messen, sind in der Entwicklung
– „Smarte Services“ wie z.B. Running-Apps, sind bereits fester Bestandteil der Vermarktung
– „Smarte Prozesse“ werden sowohl am unternehmerischen Back-End, mit intelligenten Supply-Chains auf Basis von umfassenden Daten, als auch am Front-End z.B. über digitale Showrooms eingesetzt
– „Smarte Produktionen“ wie die Speedfactory von Adidas sind bereits angelaufen
 
Digitale Initiativen müssen in der Gewinn- und Verlustrechnung ankommen – und sind kein Selbstzweck!
Ziel jeder digitalen Initiative? Über geeignete Hebel müssen…
 
– Umsatz und Wachstum gesteigert werden, indem das Kundenbedürfnis besser erfüllt wird als vom Wettbewerb – z.B. über besseres Produkt- und Serviceangebot (smarte Produkte und Services) oder über DEN Erfolgsgaranten im Online-Handel nämlich eine optimierte, personalisierte Kundenbindung (CRM-System auf Basis umfassender Kundendaten und -präferenzen).
– Kosten oder Kapitalbedarf gesenkt werden, indem die gesteigerte Transparenz im System für eine höhere Effizienz in der Supply-Chain oder eine intelligentere, flexiblere Produktion genutzt wird. Das bedeutet für das operative Geschäft beispielsweise: Um als Hersteller und stationärer Händler dem Wunsch der Kunden nach ständiger Warenverfügbarkeit zu entsprechen, braucht es intelligente Prognoseverfahren und Bestellsysteme, die bei maximaler Verfügbarkeit dennoch die Bestände auf ein Minimum reduzieren.

„Meister aller Klassen“ muss nicht sein -  individuell richtige Digitalisierungs-Aspekte zählen!
Die „digitalen Reife“ eines Unternehmens entscheidet über sinnvolle, nächste Schritte auf dem Digitalisierungspfad. Hier sind ganz individuelle Ansätze, die zu Unternehmen, Marke, Markt und Kunden passen, gefragt. Folgende Fragen sind zu klären…
 
1.) Wo steht das Unternehmen heute in Sachen Digitalisierung?
2.) Wo ergeben sich Möglichkeiten der Differenzierung zum Kunden oder in der Supply-Chain? Also in welchen Bereichen wird eine Position über dem Wettbewerbsniveau angestrebt?
3.) Welchen digitale Bereichen sind aktuell gar nicht so wichtig, welche können zunächst einmal weiter beobachtet werden?
Und schließlich: 4.) Welche Effekte sind aus den angestrebten Initiativen zu erwarten und welches Team benötigen Sie hierfür?
 
Digitalisierung ist ein „Gesamtpaket“
Aus diesen Punkten wird klar: Die Digitalisierungsstrategie ist elementarer Teil der Unternehmensstrategie und muss ganzheitlich angepackt werden. Und das funktioniert nur mit einem ganzheitlichen Programm:
Basis (Ebene 1) ist die Formulierung des digitalen Selbstverständnis sowie der strategischen Positionierung des Unternehmens - welche Märkte und Zielgruppen sollen angegangen werden und welche digitalen Technologien kommen hier ins Spiel? Eine Definition des „smarten“ Leistungsangebots (Ebene 2) gehört genauso dazu wie Überlegungen, wie smarte Prozesse in der Supply-Chain oder auch im Vertrieb zur Steigerung von Umsatz oder Senkung der Kosten genutzt werden können (Ebene 3). Wie werden smarte Daten generiert und systematisch genutzt (Ebene 4)? Außerdem zu klären: Wie muss die Organisation aussehen, die die Digitalisierungsinitativen umsetzt – sind zum Beispiel neue Verantwortlichkeiten auf Vorstandsebene im Sinne eines CDO (Chief Digital Officer) nötig, müssen zusätzliche Ressourcen frei gemacht werden (Ebene 5)? Auch mögliche kulturelle Anpassungen sind Teil der Digitalisierungsstrategie: Mitarbeiter und Unternehmens(um-)welt müssen in die neue, digitale Welt mitgenommen werden – denn gerade in der stationären Retail- oder Wholesale-orientierten Unternehmensdenke laufen digitale Initiativen sonst Gefahr, zermahlen oder zerredet zu werden.
Auch wenn eine vollständige Integration dieser fünf Ebenen bei den meisten Herstellern und Händlern der Sport- und Outdoor-Branche noch Zukunftsmusik ist und bisher das herantasten auf verschiedenen Ebenen dominiert: Die absolute Notwendigkeit in Sachen Digitalisierung zu handeln, ist jedem bewusst.
Meine Empfehlung: Machen Sie das Thema unbedingt zur Chefsache – denn nur aus dieser Perspektive ist ein Blick auf alle Möglichkeiten, Potenziale aber auch Irrwege uneingeschränkt möglich. Nur so können die Potenziale der Digitalisierung ausgeschöpft und eine messbar positive Wirkung hinterlassen werden – und der „Digitalisierungs-Opportunismus“ wird Schnee von gestern.



Das könnte Sie auch interessieren