Ronny Schwarzenbrunner mit Ski
Quelle: Atomic
Interview mit Ronny Schwarzenbrunner 04.12.2023, 13:45 Uhr

So rückt Atomic Nachhaltigkeit in den Fokus

Weil eine Transformation nur im Team funktioniert, hat der Altenmarkter Skihersteller erstmals einen Klimagipfel organisiert. Mittendrin: Sustainability Manager Ronny Schwarzenbrunner. SAZsport-Redakteurin Susa Schreiner sprach mit ihm während des Events.
An zwei Tagen tauschten sich die rund 140 Teilnehmer, darunter Skimarken, Zulieferer und Einzelhändler, in Salzburgs Universität intensiv zum Thema Nachhaltigkeit aus. Die wichtigste Frage hierbei lautete: Wie kann die Ski- und Snowboardindustrie nachhaltiger werden? Nur in der Zusammenarbeit von Industrie, Handel und Skifahrern – darüber waren sich alle Kongressteilnehmer schnell einig. Denn die Herausforderungen Ski, Snowboards und Boots nachhaltiger zu produzieren, den CO2-Fußabdruck deutlich zu reduzieren und perspektivisch Ski, Boards und Boots in eine Kreislaufwirtschaft einzubetten, sind enorm. Auch SAZsport war als Teilnehmer zum Nachhaltigkeitskongress eingeladen und hat an vielen Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden teilgenommen. Und weil Ronny Schwarzenbrunner, Sustainability Manager von Atomic, greifbar war, haben wir ihn kurzerhand zum Interview gebeten. Ein Gespräch darüber, dass Nachhaltigkeit vor allem vom Ende her gedacht werden muss, von den Produkten her, die bereits im Umlauf sind, und dass der 100-prozentige Einsatz von erneuerbarem Strom einen großen Unterschied macht.



SAZsport: Zwei intensive Konferenztage im Rahmen des ersten Ski Industry Climate Summit liegen hinter uns, mit viel Input, noch mehr Zahlen, aber auch Innovationen zum Thema nachhaltige Skiindustrie. Bei der Fülle ist mir eine Frage im Kopf geblieben, die ich Ihnen noch einmal explizit stellen möchte: Wie definiert Atomic Nachhaltigkeit?



Ronald Schwarzenbrunner: Wir legen unseren Fokus auf den CO2-Fußabdruck. Als Skiindustrie sehen wir hierin ganz klar das größte Risiko! Sprich: Wenn wir hier nicht schnell aktiv werden, dann wird es bald keine relevanten Winter mehr geben. Deswegen bedeutet für uns Nachhaltigkeit, den CO2-Fußabdruck signifikant – nämlich um 50 Prozent bis 2030 – zu reduzieren, um damit unseren Beitrag im Kampf gegen die globale Erderwärmung zu leisten. Gleichzeitig haben wir die Chemikalien im Blick und kennen die planetaren Grenzen, die unsere Erde aushalten kann. Das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es beispielsweise um die Beschaffung neuer Materialien geht. Darüber hinaus legen wir auch großen Wert auf soziale Aspekte. Das alles bedeutet Nachhaltigkeit, aber im Fokus liegt die Reduzierung von Kohlenstoffdioxid.



SAZsport: Atomic will also seinen Beitrag zu einem der europäischen Ziele des Green Deal, nämlich die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf nahezu null zu reduzieren, leisten …



Schwarzenbrunner: Ja, überall wo wir angreifen können, werden wir unseren Beitrag leisten. Wenn wir einen Skitag im Ganzen betrachten, dann ist die Skiproduktion nur ein kleiner Teil, der in die CO2-Bilanz einfließt. Das heißt aber nicht, dass wir den Ski rausnehmen können oder wollen. Wir wollen die Herausforderungen der Treibhausgas-Problematik nicht allein den Transportunternehmen, Bergbahnen, Hotelbetreibern oder gleich den Skifahrern selbst überlassen. Im Gegenteil: Wir müssen als Skiindustrie unsere Hausaufgaben machen, und wenn wir diese bewältigt haben, dann sollten wir auf alle weiteren Beteiligten eines Skitages zugehen und fragen, ob wir nicht gemeinsam etwas bewirken können, im größeren Kontext.



SAZsport: Es ist also ein Bestreben, dass es nicht nur Kollaborationen innerhalb der Skiindustrie geben soll, sondern auch weiterführende enge Partnerschaften mit Seilbahnbetreibern, Tourismusregionen und Skifahrern, richtig?



Schwarzenbrunner: Absolut. Wobei einzelne Regionen und Skigebiete teilweise jetzt schon sehr nachhaltig arbeiten. Nehmen wir nur mal die Skiregion Flachau. Diese setzt bereits auf wasserstoffbetriebene Pistenbullys. Andere Skigebiete setzen auf erneuerbaren Strom beispielsweise aus Photovoltaikanlagen, die sie selbst installiert haben und betreiben. Hier geht es zumindest teilweise in die richtige Richtung. Aktuell ist noch nicht abschätzbar, welche Rolle hier Atomic übernehmen kann, aber vielleicht können wir hier eine Schnittstelle zu unseren Partner-Skigebieten sein.



SAZsport: Wann hat denn Atomic damit begonnen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Skiproduktion ernsthaft auseinanderzusetzen?



Schwarzenbrunner: Atomic setzt seit 2005 auf 100 Prozent erneuerbare Energie, wir nutzen Holzabfälle aus der Forstwirtschaft zurEnergiegewinnung. Seit 2013 setzen wir zu 100 Prozent auf grünen Strom.

SAZsport: Das bezieht sich alles auf das Atomic-Headquarter in Altenmarkt/Österreich?

Schwarzenbrunner: Genau. Es gibt andere Produktionsstandorte wie Bulgarien, wo wir klar noch Nachholbedarf haben. Das hat sich im Zuge der CO2-Berechnungen ergeben. Jetzt wissen wir, wie viel das ausmacht, und können reagieren.



SAZsport: Gibt es hier schon konkrete Ziele für die weiteren Produktions­standorte, bis wann diese auch mit grüner Energie und Ökostrom betrieben werden?



Schwarzenbrunner: Ziel ist es, in allen Standorten bis Ende 2025 die Elektrizität zu 100 Prozent auf erneuerbare Energie umzustellen. Alle Neubauten in Bulgarien werden mit Photovoltaik geplant. Alle bestehenden Gebäude und Produktionshallen werden derzeit hinsichtlich Photovoltaikumstellung geprüft.



SAZsport: Sie haben die CO2-Berechnungen angesprochen. Wie intensiv muss man sich diese Berechnungen vorstellen?



Schwarzenbrunner: Nachhaltigkeit und die Berechnung der Treibhausgasemissionen bedeuten vor allem sehr viel Akribie und Recherche. Letztlich haben wir in Summe 14 Monate benötigt, um die CO2-Bilanz von zwei Produkten zu erstellen.



SAZsport: Das ist eine enorme Zeitspanne … War das die Initialzündung zum Umdenken bei Atomic?



Schwarzenbrunner:
Ja. Ein echtes Umdenken in der gesamten Firma begann, als die Sustainability-Abteilung vor gut drei Jahren damit begonnen hat, erste Ökobilanzen zu berechnen und Ziele dahinterzusetzen, verbunden mit einer Nachhaltigkeitsstrategie für Atomic. Mittlerweile denken alle Entwickler, alle Produktmanager nicht mehr ausschließlich über die Wichtigkeit von Performance-Aspekten nach, sondern auf gleicher Ebene wird auch über die Wichtigkeit des CO2-Fußabdrucks und anderer Impact-Kategorien der Ökobilanz diskutiert.



SAZsport: Nachhaltigkeit beginnt beim Design beziehungsweise bei der Entwicklung eines Skis oder Skischuhs …



Schwarzenbrunner: Auf jeden Fall. Wir müssen einerseits darauf achten, dass wir zukünftig nur mehr leicht recycelbare und reparierbare Produkte auf den Markt bringen, andererseits gilt unser Augenmerk auch den extrem vielen Skimodellen, die bereits im Einsatz sind oder im Keller stehen. Diese Ski und auch Boots sind nicht so designt, wie wir das zukünftig machen wollen. Das bedeutet, wir müssen hier am Ende ansetzen und uns dazu nachhaltige Lösungen überlegen.



SAZsport:
Was sind hier die Lösungen?



Schwarzenbrunner
. Wir machen viele Tests in Richtung Schreddern und versuchen, so viel Material wie möglich darüber zurückzugewinnen. Bei Skischuhen ist das ein bisschen einfacher, allerdings gibt es auch hier Probleme, wenn wir das recycelte Material neuen Skischuhen beimengen wollen. Aber das ist das Ziel, hier arbeiten wir daran.



SAZsport: Liegt hier die Schwierigkeit in der Performance?



Ronald "Ronny" Schwarzenbrunner: "Die Berechnung der Treibhausgasemissionen bedeutet viel Recherche. Wir haben in Summe 14 Monate benötigt, um die CO2-Bilanz von zwei Produkten zu erstellen.“
Quelle: Atomic
Schwarzenbrunner:
Genau. Aktuell können Skischuhe über zwei bis drei Zyklen aus recycelten beziehungsweise teilweise recycelten Materia­lien ­wieder hergestellt werden. Danach lässt die Performance nach. Ein weiteres Problem liegt in der Diversität der Materialien. Wir müssen viele Alt-Skischuhe recyceln, um überhaupt daraus wieder neue Boots herstellen zu können. Allerdings sind die Materialien so unterschiedlich, dass wir hier kein hohes Performance-Level erreichen können. Bei Ski versuchen wir, so viel wie möglich zu sortieren, sodass wir die Materialien selbst wiederverwenden können. Aber ich gehe davon aus, dass wir hier in andere Richtungen denken müssen. Dahingehend, dass wir die recycelten Materia­lien an andere ­Industriezweige verkaufen. Gerade bei Metallen gibt es einen Recycling­stream, der jetzt schon funktioniert. Wenn man zum Wertstoffhof geht und Alu oder andere Metalle zurückgibt, bekommt man Geld dafür, das verhält sich in anderen Industriezweigen gleich. Aus Holz könnte man Spanplatten produzieren, hier gibt es bereits Tests, die funktionieren. Für die weiteren Materialien müssen wir noch herausfinden, welche Industriezweige daran Interesse haben könnten.



SAZsport: Wichtig ist auch hier, über den Tellerrand zu blicken und proaktiv den Austausch zu suchen, oder?

Schwarzenbrunner: Absolut richtig. Nehmen wir nur mal die Abfälle, die bei der Skiproduktion anfallen. Hier stehen wir mit 80 bis 100 verschiedenen Firmen und Recyclern in Kontakt. Manche davon wissen nichts mit unseren Abfällen anzufangen, andere wiederum können Teile der Abfallmaterialien wiederverwenden und kaufen uns diese ab. Aber klar, der Best Case wäre natürlich ein geschlossener Kreislauf, sprich: Aus einem Ski wird wieder ein Ski.



SAZsport:
Stichwort Kreislaufwirtschaft – auch hier stellt die EU an die Industrie klare Forderungen. Können diese von der Skiindustrie überhaupt umgesetzt werden?



Schwarzenbrunner: Das kann ich momentan nicht abschätzen. Es kommt darauf an, welche Technologien wir oder andere Firmen und Zulieferer hier in naher Zukunft entwickeln. Es gibt recycelbare Epoxid-Systeme, diese erfüllen aber leider noch nicht die Anforderungen, die wir brauchen. Hier sind wir aber gemeinsam mit unseren Lieferanten in der Weiterentwicklung. Wir können unsere Produkte so einfach zerlegbar wie möglich machen. Gleichzeitig darf auf keinen Fall die Performance darunter leiden. Die Qualität darf jetzt nicht weniger lang haltbar sein, denn dann wäre der Impact von dem Ski auf einmal höher. Das ­ergäbe wenig Sinn. Insgesamt wird eine vollständige Umsetzung der Kreislaufwirtschaft schwierig. Ich denke, Teile von Produkten werden in einen geschlossenen Kreislauf überführt werden können. Aber ob es zu 100 Prozent klappen wird? Hier bin ich mir unsicher.



SAZsport: Von der Glaskugel zur Realität: Ist ein Carbonski tatsächlich ökologischer, nur weil er mit „grünem“ Strom erzeugt wurde?



Schwarzenbrunner: Wenn man die Carbonski untereinander vergleicht, dann ist der Carbonski, der mit „grünem“ Strom hergestellt wurde, nachhaltiger. Egal welche Produktionsphase wir betrachten, sobald nur Teile davon mit erneuerbarem Strom erzeugt werden, das betrifft auch die Carbonfaser selbst, verbessert sich die CO2-Bilanz. Natürlich ist es das Rohmaterial, das viel Energie benötigt. Aber gerade deswegen macht Strom aus erneuerbaren Quellen den Unterschied.



SAZsport:
Im September 2020 wurde in Deutschland der sogenannte Nutri Score eingeführt. Die fünfstufige Farbskala von A bis E gibt leicht verständlich den End­verbrauchern Auskunft über den Nährwert eines Lebensmittels. Wäre eine ähnliche Skala für die Nachhaltigkeit von Ski und Boots nicht auch interessant für die Kon­sumenten?



Schwarzenbrunner: Das ist unser Ziel. Aber dafür braucht es Vorlauf und den Zuspruch des EU-Parlaments. Hier müssten dann alle verpflichtend teilnehmen, nur so kann eine echte Vergleichbarkeit der Produkte gewährleistet sein. Ich würde mich richtig freuen, wenn es eine Guide­line gibt, auf die jeder zurückgreifen kann. Ich gehe davon aus, dass die EU in diese Richtung etwas entwickeln wird; nicht mehr in dieser Legislaturperiode, aber in naher Zukunft. Grundsätzlich sind wir auf dem richtigen Weg. Und ich bin sehr gespannt, welche Kollaborationen nach unserem ersten Klimagipfel noch entstehen werden und wie wir gemeinsam die Zukunft der Skiindustrie nachhaltiger gestalten können, damit wir alle gemeinsam noch viele tolle Winter im Schnee auf Ski verbringen können.

Über Ronny Schwarzenbrunner
Schwarzenbrunner ist Nachhaltigkeitsmanager bei Atomic und hat sein Bachelor- und Masterstudium „Holztechnologie & Holzwirtschaft“ an der Fachhochschule in Kuchl absolviert. In seinem Studium ging es nicht nur um Holz, sondern um alle biogenen Materialien wie Naturfasern und nachhaltige Klebstoffe.



Schwarzenbrunner verfügt über fundierte Erfahrungen in Materialprüfungen, Produktionsprozessen, Materialeigenschaften, und Ökobilanzen zum Thema Nachhaltigkeit. In seinem Keller hat er auch schon drei Paar Ski mit reduzierter Umweltbelastung gebaut, bevor Atomic die neuen Backland-Ski entworfen hatte.



Vor nunmehr knapp drei Jahren begann Schwarzenbrunner bei Atomic mit seiner Masterarbeit „Sustainable Ski Development“. Seitdem hat er eng mit allen Fachabteilungen, auch übergeordnet, zusammengearbeitet und konnte zwei Monate lang an einem Wissensaustausch mit Arc’teryx in Vancouver teilnehmen.



Derzeit beschäftigt er sich mit der Implementierung des Umweltmanagementsystems am Standort Altenmarkt, dem Aufbau der SBTis und allen Nachhaltigkeitsprojekten, die nicht direkt in den Zuständigkeitsbereich anderer Mitglieder der Nachhaltigkeitsabteilung fallen.

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